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[Kritik] CD-Rezensionen
#21
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Purpur möchte man sagen.

oder superpur

oder reinpur

Big Grin
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#22
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[Bild: sp56k24.jpg]


Interpret: Steel Prophet
Titel: Omniscient
Format: Album
Release: 19. Juli 2014
Genre: Progressive Power Metal

10-minütiger Album-Trailer:
Hier ist es also endlich. Nach einem Jahrzehnt sind die amerikanischen Power Metal-Helden Steel Prophet zurück. Nach so einer langen Wartezeit ist es ganz normal, dass die Erwartungen astronomisch hoch sind – und meistens ist das dann der Grund für (zumindest ein bißchen) Enttäuschung, doch hin und wieder wird man stattdessen sogar positiv überrascht. Ich freue mich, behaupten zu können, dass dies hier definitiv der Fall ist.

Zum ersten Mal seit dem 1999er Dark Hallucinations ist die Band wieder im "Erzähl-Modus", denn Omniscient ist ein Konzeptalbum kosmischen Umfangs – eine Reise durch Zeit und Raum und durch die Geschichte der Erde, mit einem starken Fokus auf Menschlichkeit und das Leben selbst. Im Booklet kann man die gesamte Geschichte aus der Sicht des Protagonisten nachlesen, während die Songtexte Teil dieser Geschichte sind: jeder Song beschreibt einen wichtigen Moment in der Story. Worum es genau geht, möchte ich hier lieber noch nicht verraten – das sollte jeder für sich selbst erleben.

Jeder weiß, dass der Begriff "Meisterwerk" heutzutage widerlichst ausgelutscht und zu oft zu achtlos von Plattenfirmen und Rezensenten umhergeschleudert wird. Doch zu Steel Prophets neuem Album Omniscient passt der Begriff endlich mal wirklich. Bis zum Release dieses Albums waren Songs wie "Through Time and Space" oder "Funeral for Art", die vor Überraschungen und Abwechslung nur so strotzen, höchstens auf den ersten Releases von Steel Prophet zu finden (dem Demo Inner Ascendance und dem Debütalbum The Goddess Principle). Es ist einfach der Wahnsinn, wie die Band es geschafft hat, diesen alten Stil wiederzubeleben, ihn in Kontext mit all den darauf folgenden Werken einzubauen und somit alle Stile zu kombinieren – UND noch neue Ideen hinzuzufügen, sodass das Ganze zu etwas komplett Neuem und Aufregendem wurde. Auch wenn das Album nach den ersten paar Durchläufen noch ein bißchen überwältigend scheinen mag, da Schichten über Schichten sorgsam verschachtelter Kompositionen vorhanden sind, wird die Kombination aus Abwechslung und grooviger Härte dafür sorgen, dass man früher oder später Feuer und Flamme ist.

Zusammenfassend kann man sagen: Steel Prophet sind endlich zurück. Und sie sind zurück mit der abwechslungsreichsten, atmosphärischsten, ohrwurmigsten und härtesten Schöpfung ihrer Karriere. Und dies ist keine Übertreibung oder Fan-typisches Honig-ums-Maul-schmieren – dies ist Fakt. Omniscient ist ein absolutes MUSS für Fans aller Äras von Steel Prophet, wie auch für Metal-Fans im Allgemeinen.

Wer Lust hat, kann sich nun gerne noch die Detailbeschreibungen aller Songs durchlesen und damit tief in das neue Material eintauchen. Es wird eine turbulente Reise – versprochen!


01.) Trickery of the Scourge

Omniscient beginnt mit einem halbminütigen Intro, das den Zuhörer direkt in die guten alten Tage zurückversetzt, als Steel Prophet mit Songs wie "Reign of Christ", "Devoid of Logic" oder "To Grasp Eternity" die Stimmung einleiteten, bevor die volle Kraft des Songs entfesselt wurde. Los geht's hier mit dem Opener "Trickery of the Scourge". Diesen Song konnte man bereits am 4. Mai 2008 auf der MySpace-Seite von Steel Prophet hören, doch diese neue Version wurde noch verfeinert und hat eine Menge neuer Ideen. Grundlegend ist der Song vergleichbar mit dem Stil der Alben Messiah oder Book of the Dead, während er stellenweise an das erste Album The Goddess Principle erinnert, was die Gesangsharmonien des Refrains angeht. In der zweiten Hälfte des Songs hört man einen Break, der eine direkte Hommage an den Song "Souls Without Honor" vom genannten Debütalbum ist. Alles in allem der perfekte Mix aus den verschiedensten Steel Prophet-Stilen über die Jahre. Rick Mythiasins Stimme klingt, als wäre seit 2001 keine Sekunde vergangen – Fans werden sich sofort wie zuhause fühlen. Dies ist meines Erachtens der beste Opener, den die Band je geschrieben hat.

02.) When I Remake the World

Als nächstes folgt ein recht grooviges Geschreddere, zu dem Ricks ein wenig verzerrte Vocals einen mystischen Touch zur Atmosphäre des Songs beitragen. Auch wenn das Riffing größtenteils gleich bleibt, haut das abwechslungsreiche Drumming immer wieder interessante Rhythmuswechsel rein. Der ohrwurmige Refrain wird auch noch lange nach dem Hören des ganzen Albums im Kopf bleiben und das erste Gitarrensolo erinnert glatt and die Glanzzeiten von Blind Guardian! Ricks Stimme klingt durchaus anders als noch im Opener, aber er ist abwechslungsreicher als zuvor: mal beinah erzählerische Passagen, mal sehr emotionale Harmonien, mal höchste Töne, ... und zum Schluss gar ein triumphales Lachen, bevor das zweite Gitarrensolo den Zuhörer mit Schauern über den Rücken zurücklässt.

03.) 9/11

Steel Prophet-Fans erzählen immer wieder von einem der hauptsächlichen Trademarks der Band: die galoppierenden Riffs aus Rhythmusgitarre und Drums (wie man sie zum Beispiel von den Songs "Trapped in the Trip" oder "Hate²" von 1997 oder "The Ides of March" von 2000 kennt). Kein Steel Prophet-Album wäre ohne diese Galopp-Riffs komplett und so wird auch der nächste Song des Albums, "9/11", von diesen getragen. Rick beginnt in einer Art beabsichtigten Eintönigkeit in mittlerer Geschwindigkeit, wird immer wütender und agressiver (man fühlt sich gleich an "Scarred For Life" erinnert) – und gerade wenn man meint, dass er seinen Siedepunkt erreicht hat, kommt der Refrain des Songs und einer überraschenden und beschwörenden Langsamkeit. Wenn man diesen Song mit etwas vergleichen sollte, das bereits existiert, dann wäre der Vergleich zu der Band Solitude Aeturnus wohl am passensten. Die zweite Hälfte des Songs fährt mit der vorherigen Agressivität fort, während Rick mehr Abwechslung reinbringt: mal hohe Schreie, mal fiese Grunts – eine absolute Wohltat, die an den Band-Klassiker "The Revenant" erinnert. Diesmal folgt allerdings nicht wieder der Refrain, sondern stattdessen ein hochmelodisches Gitarrensolo, das die Melodie des Refrains interpretiert und direkt an die Atmosphäre des Albums Dark Hallucinations erinnert.

04.) Chariots of the Gods

Keine Zeit, Luft zu holen, Leute, denn "Chariots of the Gods" macht genau da weiter, wo "9/11" aufgehört hat. Das Riffing und Drumming scheint sogar noch härter zu sein und die Lead-Gitarre begleitet die Rhythmussektion perfekt. Dies ist einer von vielen Tracks, in denen man schnell die komplexen Schichten der Instrumentierung bemerkt – und während das zu Anfang noch ein bißchen überwältigend sein mag, wird man mit jedem Durchlauf des Albums neue Details entdecken. Wieder einmal lässt Rick seinem Wut freien Lauf – allerdings klagender als noch zuvor. Und wieder einmal: gerade wenn man denkt, dass er sich nicht weiter steigern könnte und gerade wenn das harte Geschreddere kurz davor ist, unerträglich zu werden, kommt ein überraschender Bruch: ein Mid-Tempo-Refrain mit einem sehr gelassenen Drumming, das mit Glockenrassel verziert ist. Dies lässt all die Spannung, all den Druck, all die wütenden Emotionen abebben und erzeugt glatt ein Gefühl des tiefen Ein- und Ausatmens – meisterhaft durch die Musik rübergebracht! Anschließend folgt noch ein triumphales, hochgestimmtes Gitarrensolo, zusammen mit der gelassenen Percussion, bevor der Song zum Ende noch einmal richtig Gas gibt. Wie gesagt: auch wenn der Song zunächst ein bißchen überwältigend sein mag – er wird schnell zu einem Lieblingssong dieses Albums.

05.) Tree of Knowledge

Sobald der nächste Song beginnt, wird wohl jeder Steel Prophet-Fan ein breites Grinsen auf dem Gesicht haben: "Tree of Knowledge" ist der perfekte Kandidat für eine Hit-Single. Es beinhaltet ein typisches Iron Maiden-artiges Riff, das an viele alte Steel Prophet-Songs erinnert, die die Fans über die Jahre hinweg als Hits betrachtet haben – besonders "Escaped" von Book of the Dead, "Messiah" vom gleichnamigen Album und den "Purgatory"-Teil von "Ides of March/Purgatory" vom Album Into the Void. Doch dieser Song demonstriert auch mit Leichtigkeit, dass die Band sich entwickelt hat, denn der Song kann zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar genannt werden. Gerade wenn man meint, dass man weiß, wie es weitergeht, passiert irgendetwas Besonderes – sei es Ricks abwechslungsreicher Gesang, mehrere Rhythmuswechsel oder ein überraschender Break in der Percussion. Der Song bleibt zu jeder Zeit frisch und aufregend, während er den typischen Steel Prophet-Vibe rüberbringt, den die Fans von Anfang an geliebt haben. Der Refrain ist sehr positiv und gegen Ende kommt ein weiterer von Ricks mystischen Singsang-Momenten. Der absolute Anspieltipp des Albums!

06.) 666 is Everywhere (The Heavy Metal Blues)

Und nun zum Herzstück des Albums. "666 is Everywhere" beginnt mit einem atmosphärischen 1½-Minuten-Intro, das sofort erkennbar ist als "typisch Steel Prophet" und den Sound der frühen Alben mit den langsameren Momenten von Dark Hallucinations und den instrumentalen Stücken von Book of the Dead kombiniert – und dann hebt der Song zu einer Metal-Hymne wie keine andere ab! Das Hauptriff schreit förmlich: "bang your head! Heavy Metal is back"! Dies ist der Song, in dem Ricks Gesang als Hauptattraktion glänzt, das Riffing in einer Blues-artigen Dynamik begleitet und alles zeigt, was er in seinem Repertoire hat. Das lange, virtuose Solo in der Mitte des Songs wird von einer Drum-Sequenz unterlegt, das dazu prädestiniert scheint, in einer großen Menge von Metal-Fans auf und ab zu springen. Ich möchte wetten, dass dieser Song live absolut perfekt funktioniert. Schon wenn man den Song zum ersten Mal hört, hat man hunderte Metal-Fans vor Augen, die "666! 666! 666! 666!" rufen. Und DANN bringt der Song etwas zurück, das man in Steel Prophet-Songs seit Jahren nicht mehr gehört hat: eine sehr ruhige, melodische Passage, in der Rick wie in einer Beschwörung spricht (wie damals in "Reign of Christ" auf dem Debütalbum oder am Anfang von "Ghosts Once Past" auf Messiah). Anschließend wird noch einmal der Refrain gerufen, bevoooor...

07.) Oleander Deux

... wir direkt in das schöne Remake des Fun-Outros "Oleander" von Book of the Dead katapultiert werden. Diese neue Version namens "Oleander Deux" wird von einem coolen Gitarren-Rhythmus getragen, während Rick einfach nur Spaß damit hat, frei dazu zu singen. Ein tolles Augenzwinkern an jeden Fan, der das Book of the Dead-Album mochte. Der Song bringt Erinnerungen zurück, während er zeitgleich die Rückkehr von Steel Prophet feiert. Nach etwas über einer Minute ist dann wieder Schluss und Ricks hochmelodische Stimme verklingt und führt uns zu...

08.) Aliens, Spaceships and Richard M. Nixon

Akte-X-Fans aufgepasst: dies ist der Stoff, aus dem eure Träume sind. Auch "Aliens, Spaceships and Richard M. Nixon" hat wieder eines dieser perfekten "Galopp-Riffs" und die Lead-Gitarre fügt eine melodischen Teppich hinzu, der ein bißchen an die mystische Atmosphäre von dem Messiah-Klassiker "Mysteries of Iniquity" erinnert. Falls der Hörer bislang noch nicht abgefeiert hat, dass Steel Prophet endlich zurück sind: Dies ist der Moment, an dem Durchdrehen angesagt ist. Während der Strophen singt Rick in einem rhythmischen Erzähl-Stil, folgt der Refrain mit tiefen und eindringlichen Vocals in einer mystischen Langsamkeit. Insgesamt ist der Song so ohrwurmig, dass man ihn anschließend oft wieder anspielen wird. Ein weiterer sofortiger Lieblingssong des neuen Albums und ein weiterer Kandidat auf ein Single-Release.

09.) Through Time and Space

Zeit, ein bißchen durchzuatmen, denn "Through Time and Space" beginnt mit einem Halbballaden-Intro, das an den Anfang von "New Life" von Dark Hallucinations erinnert. Langzeit-Steel-Prophet-Fans wissen, dass die Band über die Jahre hinweg den Großteil der Komplexität hinter sich gelassen hat, um einen eingängigeren Stil zu verfolgen, der auch für Live-Publikum passender ist. Dieser Song zeigt nun aber, dass die Jungs noch immer ein Talent für komplexe Kompositionen haben – und wie! Die komplette Struktur ist absolut genial und wird perfekt von Ricks leidenschaftlichem und immer wieder wechselndem Gesang begleitet: zuerst ist da die gemächlich marschierende Strophe, dann eine kurze High-Speed-Sektion und anschließend eine Bridge mit stampfendem Midtempo-Drumming, das von hochgestimmten, kurzen Gitarrenanschlägen verziert wird – momentan meine Lieblingspassage des ganzen Albums. Der folgende Refrain ist ein weiterer, sehr melodischer Singsang, der von einer feuernden Double-Bass untermalt wird. Als weitere Überraschung endet der Song in einem sehr ruhigen Ton – verziert mit sanften Piano-Anschlägen. Der berühmte Ausspruch "He's dead, Jim." ist dann die Überleitung zum nächsten Song.

10.) Funeral for Art

"Funeral for Art" geht zurück zu dem eingängigeren Melodic-Metal-Stil und wechselt zwischen stampfendem Midtempo-Riffung und schnelleren Rhythmus-Passagen. Der Song ist durchsetzt mit ein paar erzählerischen Stellen – mal wütend, mal traurig – und überraschenden Breaks. Der Refrain ist ein weiterer Ohrwurm, den man nicht mehr missen möchte.

11.) The Call of Katahdin

Dies ist ein kurzes und ruhiges Instrumental-Zwischenstück, das ein bißchen an "Ruby Dreams (Faith and Hope)" erinnert. Es dient als angenehme Pause, bevor der letzte reguläre Song des Albums beginnt.

12.) Transformation Staircase

Das dunkle und dramatische Finale mit Gitarren-Geschreddere, Ricks wütendem Gesang, der manchmal nah dem Grunting ist und manchmal in hohe Schreie ausbricht, dient mit einem weiteren Refrain, der an den beschwörerischen, Solitude Aeturnus-artigen Singsang erinnert und mit einer donnernden Double-Bass untermalt ist. Das letzte Gitarrensolo des Songs bringt wieder den Dark Hallucinations-Vibe zurück – diesmal erinnernd an "Betrayal" oder "Look What You've Done".

Und das war's mit den regulären Songs des Albums. Außerdem beinhaltet das Album aber noch zwei Bonus-Tracks:

13.) Bohemian Rhapsody

Steel Prophet haben sich durch viele Coverversionen einen guten Ruf in Metal-Kreisen erspielt (man erinnere sich nur an das geniale Cover von Fates Warnings "The Apparition", Helloweens "Ride the Sky" oder Iron Maidens "Purgatory". Und wenn man miterlebt hat, wie Steel Prophet "Bohemian Rhapsody" auf dem Keep It True XVI-Festival Anfang 2013 zum Besten gaben, weiß man genau, was man zu erwarten hat: eine epische Metal-Version mit ein paar witzigen Augenzwinker-Momenten.

14.) 1984 (George Orwell is Rolling in his Grave)

Der zweite Bonus-Track wurde von Rick Mythiasin geschrieben und ist durchaus komplett andersartig als der Rest des Albums. Die Vocals wirken wie eine Art High-Speed-Erzähl-Stil und instrumental grenzt das ganze schon beinah an Punk Rock. Alles in allem ist der Song aber ein perfektes Ausrufezeichen, das das Album abschließt.


Und dann... ist die Geschichte vorbei.
Was für eine Scheibe!
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#23
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[Bild: sschoojys.jpg]


Interpret: Scar Symmetry
Titel: Cryonic Harvest
Format: Single
Release: 26.09.2014
Genre: Progressive Melodic Death Metal

Offizielles Lyric-Video des Songs:
Nach "Holographic Universe" (2008) haben sich viele Scar Symmetry-Fans von der Band abgewendet, da der Gesangsgott Christian Älvestam die Band verlassen hatte. Schon bezeichnend, dass sich die Band ZWEI Sänger ins Boot holte, um ihn zu ersetzen. Dieses Ersetzen ist mit "Dark Matter Dimensions" (2009) nicht wirklich perfekt geglückt, auch wenn das Album ein paar gute Songs hatte. Doch wer sich etwas länger mit "The Unseen Empire" (2011) befasste und den Sängerwechsel ein bißchen aus den Gedanken strich, bekam ein wirklich gutes Album geliefert...

... welches mit dem bald erscheinenden Album "The Singularity - Part I: Neohumanity" wohl noch um Längen überboten werden wird. Zumindest deutet diese zweite Vorab-Single "Cryonic Harvest" STARK darauf hin. Dieser Song könnte meines Erachtens auch perfekt auf "Holographic Universe" passen. Die Melodien sind absolut überragend, der Gesang absolut hochmelodisch, die Grunts ebenfalls der Wahnsinn und die Songstruktur bietet genau das, was wir von Scar Symmetry lieben: Abwechslungsreichtum!

Ein absoluter Ohrwurm, den man so schnell nicht wieder los wird und den sich kein Fan von progressivem Melodic Death Metal entgehen lassen sollte. Während die erste Vorab-Single "Limits to Infinity" noch arg poppig (im Sinne von: 80er Jahre poppig – zumindest im Refrain) klang, beginnen Scar Symmetry mit "Cryonic Harvest" nun endlich wieder alles aufzufahren, was man schon in der "mit-Älvestam-Ära" so gefeiert hat.

Fazit: Wenn der Rest des Albums so wird, könnte es sehr gut das beste Album seit "Holographic Universe" werden! Hoffen wir's!
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#24
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[Bild: folderzkk70.png]


Interpret: Scar Symmetry
Titel: The Singularity (Phase I: Neohumanity)
Format: Album
Release: 03.10.2014
Genre: Progressive Melodic Death Metal

Anspieltipps:
Seit Wochen hörte man schon Vorab-Reviews von diversen Metal-Magazinen zum neuen Scar Symmetry-Album und überall hieß es "das beste Album seit..." — wer wie ich die grandiose Christian Älvestam-Ära immer als Referenz für Scar Symmetry heranzieht, bleibt dennoch skeptisch. Nach dem Sängerwechsel, bei dem sich die Jungs bezeichnenderweise ZWEI Sänger ins Boot holten, um Älvestam ersetzen zu können, war ich persönlich zunächst sehr enttäuscht von "Dark Matter Dimensions" (2009), das bis auf sehr wenige Songs keinem der Vorgängeralben wirklich das Wasser reichen konnte. Doch nach wirklich langem Befassen mit "The Unseen Empire" (2011) wurde ich langsam wieder mit Scar Symmetry warm und mag heute beide dieser Alben.

Nach dem Hören von "The Singularity (Phase I: Neohumanity)" steht für mich nun ganz besonders eines fest: hätten Scar Symmetry DIESES Album direkt nach "Holographic Universe" herausgebracht, hätte kaum jemand den Sängerwechsel sonderlich negativ aufgefasst. Mehr noch: vermutlich hätten die meisten dieses Album als klare Steigerung angesehen! Große Worte, ich weiß. Doch wenn man bedenkt, dass Vielen der Schritt von "Pitch Black Progress" hin zu "Holographic Universe" zu krass in Richtung Pop-Refrains ging, ist die Aussage gerechtfertigt.

Mit anderen Worten: "Neohumanity" klingt wie eine absolut perfekte Mischung aus den letzten beiden Älvestam-Alben von Scar Symmetry. Hier finden sich sowohl unvergessliche "Holographic Universe"-ähnliche Melodien und Harmonien, als auch die technische Härte und der wahnsinnige Abwechslungsreichtum von "Pitch Black Progress". Zudem handelt es sich auch noch um den ersten Teil einer Konzeptalbum-Trilogie, was das tiefe Eintauchen in das Songmaterial noch aufregender macht!

Allein das regelrecht epische Intro (dessen Melodie im letzten Song wieder aufgegriffen und weitergeführt wird) sorgt für wohlige Schauer. Doch es ist eben nur der Auftakt – was mit den eigentlichen Songs folgt, ist die schiere Freude. Zwar hat das Album eine magere Spielzeit von nur knapp 43 Minuten, doch diese sind mit SO fesselnden Songs vollgepackt, dass darüber hinwegzusehen ist.

Jeder einzelne Song stellt hier eine absolut perfektionistische Mischung aus Härte und Melodie dar. Jeder einzelne Song ist ein Ohrwurm, den man nach kurzer Aufwärm-Phase nie im Leben mehr missen möchte. Jeder einzelne Song ist so abwechslungsreich und durchzogen von überraschenden Momenten und interessanten Sequenzen, dass von Abnutzung bzw. Tothören weit und breit keine Spur ist. Kaum hat man einen Teil der grandiosen Komposition eines Songs erfasst, steigert sich das Album mit dem nächsten Track noch weiter. Spätestens beim Refrain von "Cryonic Harvest" macht sich Euphorie breit, die mit "Neuromancers" noch überboten und mit dem 10-minütigen Endstück "Technocalyptic Cybergeddon" auf die Spitze getrieben wird. So eine Achterbahnfahrt bekommen nur die wenigsten hin.

Wollen wir hoffen, dass "Phase II" und "Phase III" dieser Trilogie nicht allzu lange auf sich warten lassen. Wenn es auch nur ansatzweise auf einem so hohen Niveau weitergeht wie auf diesem Album, wird die "Singularity"-Reihe wohl zur absoluten Referenz im Melodic (Progressive) Death Metal-Genre. Hut ab!
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#25
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[Bild: 41i5c2djmalzmsxy.jpg]


Interpret: Lunatic Soul
Titel: Walking on a Flashlight Beam
Format: Album
Release: 17.10.2014
Genre: Progressive Rock / Ambient / Artrock

Anspieltipp:
3 Jahre lang musste man nun sehnlichst auf ein neues Lebenszeichen von Lunatic Soul, dem Soloprojekt des Riverside-Sängers Mariusz Duda, warten – endlich ist es da: Walking on a Flashlight Beam. Schon länger war bekannt, dass dieses vierte Album keine Fortsetzung der Story sein würde, die mit Lunatic Soul und Lunatic Soul II erzählt und von Impressions weiter ausgeschmückt wurde, sondern eine Vorgeschichte. Da die erste Lunatic Soul mit dem Tod des Protagonisten beginnt und fortan eine Geschichte aus einer Welt nach dem Tod erzählt, steht somit fest, dass Walking on a Flashlight Beam von dem Leben dieser Person handelt.

Mit dem Wechsel hin zur Welt der Lebenden hat sich auch musikalisch passenderweise einiges geändert. Die von Lunatic Soul bekannten Klanglandschaften und der orientalisch angehauchte Grundton sind selbstverständlich immer noch an der Tagesordnung, doch hat man hier ein wesentlich kompakter gebündeltes Material vor sich. So fühlt sich dieses neue Album nicht mehr so sehr wie eine große Reise durch Ambience-Weiten an, bei der die Songs ineinander verschwimmen, sondern stattdessen eher wie eine Aneinanderreihung atmosphärischer Songs, die irgendwo zwischen Riverside und Lunatic Soul liegen. Immer wieder bemerkt man den Wechsel zwischen Song-orientiertem Aufbau à la Riverside und dem Ambience-orienterten "Treiben lassen", das man von Lunatic Soul kennt und liebt. Doch nicht nur musikalisch gibt es eine Schnittmenge: auch thematisch wird man sowohl an Lunatic Soul als auch an die erste Album-Trilogie von Riverside erinnert.

Doch Mariusz Duda hat zu allem noch etwas draufgelegt: mit "Gutter" und "Treehouse" präsentiert er hier nämlich zwei der hitverdächtigsten Songs seiner gesamten Karriere! Um es ganz platt zu sagen: allein aufgrund dieser Songs ist das Album meiner persönlichen Meinung nach ein absolutes MUSS für jeden Musikliebhaber.

Alles in allem kann man sagen: ein überraschendes Album, das weder Lunatic Soul- noch Riverside-Jünger enttäuscht. Hier werden beide Fraktionen gleichermaßen so perfekt bedient wie schon lange nicht mehr. Leute, denen die letzten Riverside-Alben nicht ruhig oder atmosphärisch genug waren, werden an Walking on a Flashlight Beam ebenso ihre helle Freude haben wie Leute, denen die bisherigen Lunatic Soul-Alben ZU Ambience-lastig waren.

Eine euphorische Kaufempfehlung meinerseits.
Würde mich nicht wundern, wenn das Album einige "Bestes Album 2014"-Listen schmücken würde.


Wer Lust hat, kann sich nun noch genauere Beschreibungen der einzelnen Songs durchlesen. Viel Spaß dabei!

Der Opener "Shutting Out the Sun" ist ein waschechter Ambient-Opener geworden, der jedoch die Percussion-Rhythmik mehr betont, als es zuvor auf Lunatic Soul-Alben der Fall war. Mariusz Dudas sehr sphärischer, beschwörerischer Singsang, der sich wie schon auf früheren Alben eher im Hintergrund aufhält, ist durch und durch Lunatic Soul.

Der zweite Song "Cold", der schon als Vorabsingle (in Polen auf CD, überall sonst nur als digitaler Download) veröffentlicht wurde, hätte vom Stil der Instrumentierung am ehesten noch auf Impressions gepasst: Der Grund-Beat des Songs ist ein warmer Elektro-Bass-Teppich. Hier singt Duda sehr ähnlich wie auf den letzten Songs von Lunatic Soul II oder gar wie bei Riverside (sprich: sehr Song-orientiert), schwebt mit seiner Stimme aber zu jedem Zeitpunkt über dem treibenden Grundfluss des Songs.

Lied Nummer 3, "Gutter", geht noch einen deutlichen Schritt weiter in Richtung Riverside und klingt tatsächlich wie zu Rapid Eye Movement-Zeiten! Man wird direkt an "Schizophrenic Prayer" oder "Cybernetic Pillow" erinnert. Zunächst hatte mich dies ein kleines Bißchen enttäuscht, da ich nunmal Lunatic Soul erwartete und nicht Riverside – allerdings hielt dieses Gefühl nur bis zum unglaublich packenden Refrain vor. Nicht nur ist es ein absoluter Ohrwurm, den man auch noch Stunden nach dem Hören des Albums im Kopf behält, sondern präsentiert besonders Dudas unfassbar schöne Kopfstimme! Dass dieser Mann sich "in meinen Ohren" noch steigern würde (er ist eh mein absoluter Lieblingssänger), hatte ich nicht für möglich gehalten. Doch mit diesem Song hat er eine völlig neue Messlatte gelegt. Der schiere Wahnsinn.

Die folgenden beiden instrumentalen Songs "Stars Sellotaped" und "The Fear Within" kann man sich als Song-Duo in etwa so vorstellen wie "Where the Darkness is Deepest" und "Near Life Experience" vom ersten Lunatic Soul-Album: eine länger andauernde Reise durch instrumentale Ambience-Welten. Zwar stellt Song 4 lediglich ein eineinhalb-minütiges Intro zu Song 5 dar, dieser ist jedoch umso länger und entfaltet sich sehr gemächlich. Hier wird mehr und mehr eine düstere Atmosphäre der Angst aufgebaut, die sich erst im letzten Drittel entspannt. Die letzte Minute des Songs ist ein Ausklingen, das sehr an den Anfang von "Transition" von Lunatic Soul II erinnert und den fließenden Übergang zum nächsten Song bildet.

"Treehouse" ist etwas, das man nun weder von Riverside, noch von Lunatic Soul in der Form je gehört hat. Es handelt sich dabei um eine treibende Halbballade, die von einer ruhigen, Porcupine-Tree-ähnlichen Percussion lebt und dabei eine wahnsinnig ohrwurmige und süchtigmachende Melodie hat. Der absolute Über-Hit des Albums! Wer dachte, das Album hätte schon mit "Gutter" einen starken Kaufgrund im Ärmel... mit "Treehouse" hat es zwei. Smile

Mit dem längsten Song des Albums, dem 12-minütigen "Pygmalion's Ladder", geht es zu Anfang wieder Ambience-lastiger zu Werke. Es hat ein dreiminütiges Intro, das die typische Lunatic Soul-Stimmung präsentiert und sogar ein bißchen an Steven Wilsons und Mikael Åkerfeldts Storm Corrosion erinnert. Anschließend singt Duda in seiner wunderschönen, sanften, beinah gehauchten Stimme, bei der man jeden Konsonanten zu spüren scheint. Gegen Mitte steigert sich der Song in bedrohlichere Gefilde, bietet ein langes, regelrecht mystisch angehauchtes Gitarrensolo mit diversen anderen Instrumenten, welches sich zum Ende noch in Fülle steigert und dann mit ruhigem Glockenspiel und Akustikgitarre auszuklingen scheint – überraschenderweise zieht hier ein leicht verzerrtes Gitarrensolo den Schlussstrich des Songs.

"Sky Drawn in Crayon" ist das vorletzte Kapitel der Story und basiert auf einem lockeren Akustikgitarren-Hook, der von diversen Stimmeffekten untermalt wird. Dudas Gesang ist hier betont esoterisch und bildet eine perfekte Harmonie mit der gefühlvollen Melodie. Ab der Mitte wird der Song mit einer subtilen Synthesizer-Melodie verziert, bevor (zunächst SEHR überraschende) Elektronik-Effekte rhythmisch eingestreut werden. Es klingt beinah wie Computerspiel-Soundeffekte, die Elektroschocks darstellen sollen. Nach den ersten paar Malen hat man sich dann daran gewöhnt und sieht die Effekte als innovativen Part des Songs, der zum Ende schlagartig in Verzerrung verschwindet.

Wer den letzten Song von Lunatic Soul II, "Wanderings", kennt, der wird sich angesichts des nun abschließenden Titel-Tracks des Albums, "Walking on a Flashlight Beam", direkt wie zuhause fühlen. Das Lied kann man glatt wie den Endsong eines Films verstehen und ebenso Hymnen-artig klingt er auch. An Instrumenten wird noch einmal alles in einer warmen Atmosphäre zusammengeführt, während Mariusz Duda die finalen Gedankengänge und Zusammenfassungen des Protagonisten zum Besten gibt. Das Gefühl, am Ende angelangt zu sein, wird vollkommen perfektionistisch zu einem instrumentalen Höhepunkt gesteigert, bevor das Album ruhig – und etwas wehmütig – ausklingt.
Zurück bleibt das Gefühl, etwas wirklich Großes erlebt zu haben.
Und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der Drang, es noch einmal erleben zu wollen.
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#26
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[Bild: 81ztazidtcl._sl1400_as5u40.jpg]


Interpret: Riverside
Titel: Love, Fear and the Time Machine
Format: Album
Release: 04.09.2015
Genre: Progressive Rock / Progressive Metal / Artrock

Anspieltipp:
Ich bin nun schon seit 2004 riesiger Riverside-Fan. In meiner Sammlung befinden sich inzwischen alle Singles, EPs, Alben und natürlich auch alles von Lunatic Soul. Als die Polen 2009 Anno Domini High Definition veröffentlichten, welches auf die schwer zu toppende erste Album-Trilogie folgte, stand eines fest: Inzwischen darf man sich bei jedem neuen Album überraschen lassen, in welche Richtung sich die Jungs bewegen würden. ADHD war wesentlich rasanter (um nicht zu sagen hektischer) als die chilligen, düsteren und einzigartigen Vorgänger. Doch schon auf der 2011er EP Memories in My Head wurde klar, dass es wird in Zukunft wieder in gelassenere Sphären gehen würde. Shrine of New Generation Slaves, welches 2013 erschien, bot folgerichtig wieder vertraute und dennoch innovative Riverside-Kost. Aufregend in den Songstrukturen, melancholisch in der Atmosphäre und unverkennbar Riverside.

So stellte sich anschließend natürlich die Frage: Was schüttelt die Band als nächstes aus dem Ärmel?

Schon vor mehreren Monaten ließ Mariusz Duda verkünden, dass das neue Album eine abgeänderte Stilrichtung verkörpern würde: Ohrwurmige Melodien in 70er und 80er Atmosphäre sollten zentrales Element werden, während das Album wesentlich positiver und erhebender klingen sollte als alles bisherige, das Riverside so veröffentlicht haben. Und was soll man sagen? DAS ist definitiv gelungen. Sicherlich hat man hier auch wieder melancholische Momente, den grandiosen Gesang von Mariusz Duda und viele Elemente des typischen Riverside-Stils. ABER...

So richtig "typisch Riverside" ist dieses Album nicht geworden. Es geht auf Love, Fear and the Time Machine wesentlich ruhiger zu – das aber nicht im Stil ihrer früheren Balladen ("Conceiving You", "Us", "Acronym Love", "We Got Used to Us", etc.), sondern viel mehr im Stil alter Porcupine Tree! Wenn fast das halbe (reguläre) Album so auch locker auf Steven Wilsons Alben Platz gefunden hätte – abgesehen von Dudas Gesang – dann bekommt man als Riverside-Fan eher gemischte Gefühle. Besonders "Lost", "Towards the Blue Horizon", "Time Travellers" und "Found" gehen diesen Weg. Sicherlich ist das nichts partout Schlechtes, aber es kratzt ein wenig an der Unverkennbarkeit der Band. Sagen wir mal so: Würde man auf dieses Album "After", den Opener von Second Life Syndrome, packen, würde das beinah schon wie ein Stilbruch wirken.

Doch viele der vorgenannten Songs kriegen glücklicherweise zwischendurch doch noch die Kurve. Der Opener "Lost" und das spätere "Towards the Blue Horizon" bekommen jeweils in der zweiten Hälfte den unverkennbaren Riverside-Kick. Und glücklicherweise bekommt man dann doch Songs, die wieder in typischem Riverside-Bodensatz angesiedelt sind. Das motivierende "Under the Pillow" lässt auch den kritischsten Fan wieder lächeln, das schnelle "#Addicted" erinnert ein klein wenig an das Rapid Eye Movement-Album, "Caterpillar and the Barbed Wire" kommt fast wie ein energiegeladener Gegenpart zum Song "Second Life Syndrome" rüber und "Discard Your Fear", welches auch vorab als Single veröffentlicht wurde, ist eine Achterbahnfahrt aus Melancholie und Erleichterung. Das ziemlich experimentelle "Saturate Me" wirkt ebenfalls vertraut, erinnert aber streckenweise auch an The Flower Kings, Spock's Beard oder ähnliche Fraktionen. Das sehr ruhige und melancholische "Afloat" hätte dagegen auch eins zu eins auf einem Lunatic Soul-Album veröffentlicht werden können – auch wenn die Orgel-Klänge es ein wenig davon abgrenzen.

Und wo wir gerade bei Lunatic Soul sind: Ich wollte in dieser Rezension unbedingt noch auf die Bonus-CD, die dem 2-CD-Mediabook des Albums beiliegt und Day Session heißt, eingehen, weil das bislang noch niemand hier gemacht hat. Es bietet 5 instrumentale Stücke – ganz im Stil des vorherigen Albums, welches die Bonus-CD Night Session mit 2 instrumentalen Tracks hatte. Der erste der fünf Songs, "Heavenland", ist ein sehr sphärisches, minimalistisches Stück, welches wie ein Lunatic Soul-Song klingt und von dezent eingestreuten Akustikgitarren- und Piano-Klängen untermalt wird. "Return" geht in die selbe Richtung, ist dabei aber etwas Rhythmus-basierter geworden und wird von sanfter Elektro-Percussion getragen. "Aether" ebenfalls, doch kippt dieser Song ab der Hälfte in mysteriösere und dunklere Gegenden. "Machines" basiert interessanterweise auf den ruhigeren Passagen von "Celebrity Touch" vom Vorgängeralbum, hat Electronica-Einschläge und einen treibenden Bass-Beat. Der letzte Day Session-Track "Promise" ist dann wieder waschechtes Lunatic Soul-Material.

Fazit des Ganzen: Wenn eine Band Innovationen bringt, ist das meistens zu begrüßen – zumindest solange kein krasser Stilbruch entsteht. Dieser entsteht hier auch nicht wirklich, auch wenn das Album streckenweise anders und nicht mehr ganz so charakteristisch klingt. An sich machen aber restlos ALLE Songs wieder richtig Spaß – und jeder aus unterschiedlichen Gründen. Einige Hörer mögen das Material eventuell "langweiliger" finden als bisher – ich persönlich bin aber trotzdem wieder zufrieden. Ohrwürmer und wunderschöne Harmonien sind viele vorhanden, einzigartige Melodien gibt es en masse und Dudas Vorhaben, ein aufmunterndes, positives Album zu schaffen, ist auf jeden Fall hundertprozentig geglückt. Schönes Album!
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#27
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[Bild: blackstar8ej0z.jpg]


Interpret: David Bowie
Titel: Blackstar
Format: Single
Release: 20.11.2015
Genre: Experimental Ambient

Offizielles Musikvideo:
KLICK!

DAS ist Bowie, wie er leibt und lebt!

Als vor knapp 3 Jahren – nach 10 Jahren Wartezeit – endlich The Next Day erschien, war ich extrem glücklich, dass Bowie überhaupt noch neue Musik bringt. Ich war einer der nicht wenigen Leute, die die Angst hatten, seine musikalische Karriere sei vorbei. Gottseidank war dem nicht so. Dennoch: So solide wie The Next Day auch war... es wirkte doch ein wenig so, als wäre Bowie ein wenig auf Nummer sicher gegangen – so gab es einen Mischmasch aus vielen seiner unterschiedlichen Stilrichtungen mit ein paar überraschenden Elementen. Mal rockig, mal locker-flockig, mal düster, aber immer mit dem typischen Bowie-Flair.

"Blackstar" hingegen ist VÖLLIG anders. Musikalisch sehr atmosphärisch, polarisierend, elegisch und eigen – und absolut packend! Endlich ist Bowie also wieder zu alter Höchstform aufgestiegen und macht genau das, was der geneigte Fan sich am sehnlichsten gewünscht hat: Er lebt sich kreativ aus und beschreitet neue Wege, die in dieser Form einfach noch nicht existierten (zumindest nicht in der Art und Weise, wie Bowie die einzelnen Elemente verbunden hat).

Nach guten 4 Minuten präsentiert der Song überraschend einen Break in lichtere Gefilde und entwickelt einen sanften Groove, der immer weiter zu wunderschön hellen Vocals Bowies aufblüht. Ein entspanntes Aufatmen nach dem düsteren Grundton der ersten Song-Hälfte. Diese kreative und dynamische Entwicklung des Songs erinnert glatt an den Song "Station to Station" von 1976. – Nur um in den letzten 2 Minuten noch einmal den Kreis zu schließen und fließend in den melancholischen Anfang des Songs überzugehen. Grandios!!

Ab jetzt heißt es: gespannt auf den 69. Geburtstag des Meisters und damit auf das komplette Album warten. Man darf absolut gespannt sein!
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#28
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[Bild: 81rku8xzpgl._sl1500_wkkmf.jpg]


Interpret: In Flames
Titel: Siren Charms
Format: Album
Release: 05.09.2014
Genre: Modern Metal

Anspieltipps:
"Passenger II"? Oder: Der holprige Werdegang einer Legende

Hach ja, die leidige In Flames-Diskussion, die scheinbar nie endet. Jedes einzelne Mal, wenn diese Band ein Album herausbringt, gibt es die hitzigsten Streitgespräche darüber, was noch "Weiterentwicklung" und was schon "Stilbruch" ist. Also geht es nun ebenfalls wieder los.

Meinen ersten Kontakt mit der Musik von In Flames hatte ich 2000, als ich das erste Mal die Clayman-Scheibe gehört habe. Nachdem ich mich immer weiter in den Backkatalog der Band hineingehört hatte, stand für mich fest: Whoracle, Colony und Clayman stellte für mich persönlich die absolute Referenz-Trilogie im Genre des melodischen Death Metal dar. Auch The Jester Race wusste sehr zu gefallen und nach mehreren Durchläufen wurden sogar Lunar Strain und Subterranean Lieblings-CDs in meinem CD-Regal. In Flames waren zu der Zeit eine Band, die euphorisch gefeiert wurde. Ihr Live-Album The Tokyo Showdown (Live in Japan 2000) war ein Zeugnis dieser grandiosen Fülle an unglaublich gutem Songmaterial.

Dann kam Reroute to Remain und überall in der Fachpresse hieß es "Ist das nicht genial? Anders Fridén traut sich diesmal voll und ganz Clean Vocals zu! Gut für ihn!". Die Band selbst ließ verlauten: "Heutzutage macht doch jeder Melodic Death Metal in diesem Stil! Wir wollen von diesen ausgetretenen Pfaden weg und etwas Neues auf die Beine stellen." Auch die Änderung des Band-Logos (die zweite Änderung nach dem Wechsel von The Jester Race hin zu Whoracle) machte deutlich: Hier handelt es sich um eine neue Identität, einen neuen Stil, etwas Frisches und Unverbrauchtes. Und ja: Dieses Album mochte ich ebenfalls sehr gerne, auch wenn mir die vordergründigen Melodiebögen meiner Referenz-Trilogie (Stichwort: Twin Leads, wohl am besten zu genießen in "Jotun", "Embody the Invisible", "Scorn" und "Swim") fehlten. Melodik war aber nunmal dennoch da und die Songs auf "Reroute" machten einfach Spaß!

Doch schon das Folgealbum Soundtrack to your Escape wurde eine erste (wenn auch nur leichte) Enttäuschung. Der Sound zu matschig, die Melodien noch weiter in den Hintergrund gerückt. Zu schade. Come Clarity ging konsequenter in Richtung Clean-Gesang, sorgte aber glücklicherweise für frischen Wind und neue Energie. Songs wie "Take this Life", "Come Clarity" und "Vanishing Light" waren absolute Glanzstücke! Das gesamte Album erinnerte von den Songstrukturen ein wenig an Reroute to Remain und atmosphärisch ein wenig an die alten Klassiker der Band. Sicherlich wurde hier nicht mehr "reinrassiger" Melodic Death Metal geboten, doch wen kratzt so etwas, wenn die Songs einfach gut sind?

Leider entpuppte sich das anschließende A Sense of Purpose als deutlich schwächer  so wirklich gefielen mir davon eigentlich nur noch die Bonus-Tracks "Eraser", "Tilt" und "Abnegation". Anders Fridén wurde zunehmend weinerlicher in seinem mittelmäßigen Clean-Gesang und rauherer Gesang war einfach immer spärlicher gesät. An sich nichts Schlimmes, aber auch die Qualität des Songmaterials wusste nicht so recht zu überzeugen. Leider! Bei Sounds of a Playground Fading war ich zunächst wirklich froh darüber, dass hier die Melodik wieder stärker im Vordergrund stand. Doch schon nach wenigen Durchläufen des Albums wurde klar: Kaum etwas von der einstigen Größe wurde wirklich voll und ganz präsentiert. Es wirkte einfach wie ein noch schwächerer Abklatsch des Vorgängeralbums und nicht selten bekam ich bei dem Album das Gefühl, dass ich mir eigentlich ebenso gut ein Album von Korn hätte kaufen können, allein vom Gesang her. Nicht gut. Dass Jesper Strömblad mit dem Song "Jester's Door" seinen Abschied von der Band untermalte, war nur allzu bezeichnend. Von der einst stolzen "Jester"-Rasse – mit den mystischen Lyrics, die nicht von dieser Welt waren, den fantastischen Artworks, der typischen und einzigartigen In Flames-Atmosphäre – war eh praktisch nichts mehr übrig.

Und nun Siren Charms.

Sicherlich sind das immer noch irgendwo In Flames, ob man will oder nicht. Und das hört man auch streckenweise immer wieder heraus! Den vollkommen übertriebenen Vorwurf des "Ausverkaufs" kann man ihnen damit ebenfalls nicht vor die Nase knallen  wirklich nicht! Doch warum sieht es diese Band so sehr als ihre Pflicht an, Stück für Stück immer mehr von ihrer einstigen Identität zu verlieren? Klar: Niemand will immer und immer wieder das Selbe hören und Weiterentwicklung ist generell löblich, ABER: Möchte man als Fan einer Band wirklich mit jedem neuen Album ein Überraschungsei kaufen und hoffen, dass Elemente davon noch gefallen? Weiterentwicklung sollte im Grunde so sein, dass man zwar frische Neuerungen bringt und nicht auf der Stelle stehen bleibt, aber dennoch sollte der typische Stil der Band auch irgendwo beibehalten werden. Ebenfalls absolut klar: Niemand braucht eine Colony II oder eine Reroute to Remain II. Wer die alten Alben der Band hören will, der KANN sie ja auch hören! Die existieren immer noch und sie werden uns auch durch das neue Album nicht weggenommen! Dennoch ist es seit mehreren Jahren aber nun beinah so, dass auf Releases, auf denen der Name In Flames steht, nicht mehr wirklich In Flames drin ist. Und das finde ich einfach außerordentlich schade.

Erinnert sich irgendwer da draußen noch an Anders Fridéns Projekt Passenger? Damit hat er anno 2003 ein gezieltes Mainstream-Projekt auf die Beine gestellt, mit dem er einfach massentauglichere, poppigere Songs gemeinsam mit Niclas Engelin (u.a. Gardenian) machen wollte. Dass eben dieses Passenger-Album nun allerdings knackiger, härter und In Flames-ähnlicher ist als das tatsächliche neue Album von In Flames, sagt doch schon alles. Siren Charms hätte definitiv ein konsequentes zweites Passenger-Album werden können! Das hätte super funktioniert! (Die Songs "Everything's Gone" und "Paralyzed" SIND praktisch waschechte Passenger-Songs!) Ein paar Brecher, massig Midtempo-Pop-Hymnen, Anders' inzwischen typisches Clean-Genöle, instrumentale Experimente und das eine oder andere Aufflackern einer Erinnerung an In Flames-Melodien. Das funktionierte damals mit Passenger perfekt! WARUM Siren Charms unter dem Banner In Flames veröffentlichen?

Das Songmaterial IST nicht schlecht! Einige Songs haben wirklich tolle Elemente und wissen zu gefallen. "When the World Explodes" mit Gastsängerin Emilia Feldt wirkt regelrecht opulent und ist äußerst innovativ. Allerdings muss man für so etwas natürlich offen sein! "Dead Eyes" ist allein von der Melodik her ein waschechter In Flames-Song geworden – man muss allerdings über einige wirklich dürftige Clean-Vocals drüber weg sehen können! Und "Monsters in the Ballroom" ist ebenfalls super geworden, auch wenn es fast gar nicht mehr nach In Flames klingt.

Das Fazit des Ganzen: Ich merke ganz deutlich, dass ich als alteingesessener In Flames-Fan mit Mühe über meinen Schatten springen muss, um Siren Charms hören zu können. Ich hätte mir wesentlich mehr Grunts und Growls gewünscht, aber das Leben ist nunmal kein Wunschkonzert. Für mich ist Siren Charms viel mehr Passenger II als ein neues In Flames-Album. Damit komm ich klar.

Und für Melodic Death Metal, der auch bleibt, was er ist und dennoch mit jedem Album innovativer und packender wird, gibt es ja immer noch Scar Symmetry (für mich persönlich die einzig wahren geistigen Erben der alten Referenz-Trilogie Whoracle, Colony und Clayman).
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#29
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[Bild: covergzjgh.jpg]


Interpret: Sonata Arctica
Titel: The Ninth Hour
Format: Album
Release: 07.10.2016
Genre: Melodic Power Metal

Anspieltipps:

Seit ihrem vierten Album Reckoning Night – allerspätestens aber seit Unia – wurden Sonata Arctica mit jedem Release recht unvorhersehbar. Während die erste Album-Trilogie (Ecliptica, Silence und Winterheart's Guild) recht üblichen Melodic Power Metal-Strukturen folgte, jedoch stets mit einem unglaublichen Feingefühl für tolle Melodien überzeugen konnte, so geriet die Band anschließend Stück für Stück in immer progressivere, symphonischere und anspruchsvollere Sphären. Viele Fans schreckte diese Entwicklung ab, während viele andere Fans gerade die Opulenz und den ausgefeilten Detail-Reichtum von Unia und The Days of Grays bis heute in hohen Tönen loben und diese Alben als Meisterwerke betrachten. Nach einem kurzen Ausflug in etwas simplere, rockigere Gefilde mit Stones Grow Her Name (ohne jedoch von Sonata-typischen Elementen abzulassen), setzte die Band mit dem letzten Album Pariah's Child ein Zeichen. Nicht nur musikalisch ging es wieder zurück zu längst vergessenen Power-Metal-Pfaden im Stile von Winterheart's Guild (in Kombination mit einem Hauch Stones Grow Her Name-Feeling) – auch optisch wurde durch die Wiedereinführung des alten Band-Logos klargestellt: Wir befinden uns wieder auf dem Weg früherer Alben.

Während dieser Weg bei Pariah's Child noch etwas holprig wirkte, schafft es das neue Album The Ninth Hour endlich lückenlos, das gute alte Sonata-Feeling wieder aufleben zu lassen und zeigt ganz klar, dass Sonata Arctica diesen Stil noch immer beherrschen, wie keine andere Band es je so charakteristisch könnte. The Ninth Hour ist dennoch keine müde Kopie – ganz im Gegenteil: Dieses Album klingt wie ein sehr ideenreicher DIREKTER Nachfolger zu Reckoning Night. Ich persönlich liebe Unia und halte es für ein absolutes Meisterwerk, ABER: Hätten Sonata Arctica The Ninth Hour 2006 oder 2007 veröffentlicht, hätte sich nie ein Fan der alten Alben über die Entwicklung der Band beschwert. So wie Silence die logische Weiterentwicklung von Ecliptica war, so ist The Ninth Hour die logische Weiterentwicklung von Reckoning Night und Winterheart's Guild. Kurz gesagt: Voll und ganz Sonata Arctica, wie wir sie kennen und lieben.

Klar, "Closer to an Animal" ist auf jeden Fall ein sehr gewagter und unkonventioneller Opener für ein Sonata-Album, denn so erzählerisch, nachdenklich und ruhig sind Eröffnungs-Songs eigentlich nicht, aber nach mehrmaligem Hören bleiben die zwei hauptsächlichen Melodylines des Songs im Kopf hängen – und besonders in späteren Durchläufen hat er seinen ganz speziellen Reiz. Auch der zweite Song, der schon vorab veröffentlicht wurde, "Life", entfaltet noch nicht so ganz die mitreissende Energie, die man sich von einem Sonata Arctica-Song eigentlich wünschen würde. Doch Tonys sehr emotionaler Gesang und der (wortwörtliche) "Lalala"-Refrain schaffen es nach einer kurzen Eingewöhnungsphase, eine absolute Wohlfühl-Stimmung zu verbreiten. Tonys Vorhaben, endlich mal einen hundertprozentig positiven Song über das Leben zu schreiben, ist definitiv geglückt.

Doch ab Song Nummer 3 ist es endlich wieder da: Das gute alte Sonata-Feeling, das vielen von uns sicherlich fehlte. "Fairytale" erinnert nach seinem kurzem Keyboard-Intro direkt an "Silver Tongue" von Winterheart's Guild. Und alles ist da, was man sich von einem Sonata Arctica-Song wünschen kann: Die einzigartige Melodie, der Mitsing-Refrain, der sarkastisch-enttarnende Unterton – und lyrische Perlen wie "vote 'yes' for the global warming", "hip hip hooray" oder "one ring to rule them all, who's paying, where's Waldo?" werfen den Zuhörer glatt zurück in Tricky-Beans-Zeiten. Glücklicherweise wirkt der Song dennoch nicht albern, sondern wendet die Kitsch-Gefahr gekonnt ab – mit einer leicht melancholischen Bridge und späteren, etwas abgedrehteren Passagen in den Strophen, die ein wenig an Unia erinnern. Diese Passagen werden dann aber auch wieder vom Ohrwurm-Refrain abgelöst, sodass man nie Gefahr läuft, auszuufern.

Fehlen euch schon länger die wunderschönen Power-Balladen, die Sonata Arctica damals so ausgezeichnet haben? Einzigartige Stücke wie "Tallulah", "Letter to Dana" oder "Last Drop Falls"? Und liebt ihr die Piano-Passagen in alten Sonata-Songs? Dann wird euch "We Are What We Are" all das geben, das in den letzten Jahren einfach ein bißchen gefehlt hat. Das eineinhalb-minütige Intro aus melancholischen Flöten erinnert glatt ein bißchen an Nightwish, bevor Tony sanft zu singen beginnt. Thematisch steht allerdings keine Herzensdame im Mittelpunkt, sondern das Konzept, welches The Ninth Hour wie ein roter Faden durchzieht: Die Tatsache, dass wir Menschen diesen Planeten, unser einziges Zuhause, immer mehr zerstören. Der Song ist zwar durch und durch eine Sonata-typische Ballade, getragen von sehr dezenter Percussion, verziert von Piano-Akzenten und mit einem eingängigen Refrain, hat aber eine ganz eigene Charakteristik und spezielle Atmosphäre, die Elemente aus den oben genannten Balladen und "They Follow", dem Bonustrack von Unia, beinhaltet.

Und kaum hat man die Freude über diese Rückkehr zu alten Tugenden ein wenig verarbeitet, kommt "Till Death's Done Us Apart" daher und zeigt mit dem düster-beschwörenden, leicht verrückten und hin und wieder agressiven Gesang Tonys, womit wir es hier zu tun haben: Hier wird die bekannte Stalker-Story aus "Caleb", "Juliet" und "Don't Say a Word" fortgesetzt. Beginnt der Song noch sehr erzählerisch, so entwickelt er sich schnell zu einem Geschenk an Fans von "Wildfire", "Ain't Your Fairytale" oder den schnelleren Passagen aus "White Pearl, Black Oceans". Und zu keiner Sekunde wirkt dieser Stil auch nur ansatzweise aufgesetzt. Ganz im Gegenteil: Tony und die Jungs sind so sehr in ihrem Element, dass es eine schiere Freude ist! Auch hier hat man einige dynamischere Passagen, die Fans von Unia und The Days of Grays sehr begrüßen werden, doch die eingängige Grund-Melodie und der sehr starke Ohrwurm-Refrain halten den Song zu jeder Zeit in einer "Wildfire"-ähnlichen Struktur. Ein mehr als würdiger Eintrag in Calebs Stalker-Tagebuch.

"Among the Shooting Stars" ist dagegen schon etwas sehr eigenes. Dieser Wolf-Song vereint sehr ruhige, Piano-verzierte Momente mit der Atmosphäre der ruhigeren Unia- und Days of Grays-Passagen (zum Beispiel aus "Juliet", "For the Sake of Revenge" oder "The Worlds Forgotten, the Words Forbidden") in einem sehr symphonischen und opulenten Gewand. Immer wieder gibt es Momente, in denen die Musik pausiert und nur Tonys Stimme zu hören ist. Besonders im (an "Tallulah" UND "Broken" erinnernden) Refrain schafft es Tony, das "Leiden" im Wort "Leidenschaft" perfekt darzustellen. Wenn es EINEN Song gibt, der sowohl Fans der "alten Sonata" als auch Fans der Unia/Days of Grays-Phase gleichermaßen zu erfreuen, dann ist es eindeutig diese Ballade. "Among the Shooting Stars" wird uns Sonata-Fans sicherlich noch Jahre begleiten.

Viele haben daran gezweifelt, dass Sonata diese typischen High-Speed-Melodic-Power-Metal-Songs à la "Misplaced", "Abandoned, Pleased, Brainwashed, Exploited" oder "Victoria's Secret" drauf haben. Diese Zweifler werden mit "Rise a Night" mit Leichtigkeit eines Besseren belehrt. Hier haben wir einen unaufhörlichen Keyboard-Teppich, kombiniert mit frenetischem Drumming und tollen Gitarren/Keyboard-Soli, die stark an das Silence-Album erinnern. Was zuletzt in "Running Lights" (von Pariah's Child) und dem Days of Grays-Bonustrack "Nothing More" angedeutet wurde, wird hier konsequent zur Perfektion gebracht.

"Fly, Navigate, Communicate" ist ein Song, bei dem ich Schwierigkeiten habe, in Worte zu fassen, wie sehr er mich als Sonata-Fan begeistert. Er ist eine Kombination aus allem, das man in den letzten 16 Jahren an Sonata Arctica geliebt hat. So erinnert der Song im Intro an die typische Silence-Atmosphäre (zum Beispiel aus "Sing in Silence" oder dem gesprochenen Intro "Of Silence"), geht dann in eine melancholisch-leidenschaftliche Grund-Stimmung aus Songs wie "The Boy Who Wanted to Be a Real Puppet" über und steigert sich dann in den genialen Refrain, der mit jedem der drei Worte "Fly", "Navigate" und "Communicate" an Intensität des Gesangs und an Geschwindigkeit zunimmt. Und gerade wenn man gedacht hat, man hätte das ruhige Schema des Songs durchschaut, wird das Gaspedal im letzten Drittel in einem göttlichen Keyboard/Gitarren-Solo zu Tonys triumphalem Schrei durchgetreten. Ein absoluter Euphorie-Schub, der Sonata-Fans beinah fassungslos zurücklässt.

So wie auch das Silence-Album gleich mehrere ergreifende Halbballaden hatte, hat man auf The Ninth Hour ebenfalls, neben "We Are What We Are", einen weiteren Anwärter auf den Balladen-Thron: "Candle Lawns" ist das, was herauskommen würde, wenn man "Shamandalie" mit "Tallulah" kreuzen, und das Endergebnis noch etwas ausschmücken würde. Wenn bislang noch Zweifel daran bestanden, dass wir mit dem neuen Album tatsächlich ein "gutes altes Sonata-Album" bekommen würden, dann sind diese Zweifel nun vollends verschwunden. Man fühlt sich regelrecht in die alte Silence-Zeit zurückversetzt – einfach schön.

Als The Ninth Hour angekündigt wurde, waren die meisten Fans gleichzeitig sehr aufgeregt und höchst kritisch, weil damit ein Nachfolger zu "White Pearl, Black Oceans" angekündigt wurde. Viele Fans mochten die beiden Nachfolge-Songs zu "Wildfire", welche auf dem Stones Grow Her Name-Album enthalten waren, nicht sonderlich. Doch "White Pearl, Black Oceans - Part II: By the Grace of the Ocean" macht glücklicherweise alles richtig. Der Song hat eine völlig eigene Melodie, ist also nie eine Kopie von Teil 1, ist aber durchzogen von Rückblick-Momenten, in denen der Refrain aus Teil 1 (entweder als Piano-Melodie oder mit Hintergrund-Streichern) wieder aufgegriffen wird. Ab der Hälfte wird die Ballade zu einem rhythmischen Midtempo-Song und steigert sich dann in Vollgas-Gitarren/Keyboard-Passagen, nur um später wieder zur ruhigen Atmosphäre zurückzukehren. Sicherlich braucht man ein bißchen Zeit, um den gesamten 10-Minuten-Song zu durchschauen (und es gibt wirklich EINIGES zu entdecken), aber zu keiner Zeit wirkt der Song überladen oder kompliziert. Eher haben wir es musikalisch mit einer Mischung aus dem ersten Teil von "White Pearl, Black Oceans" und dem Unia-Bonustrack "They Follow" zu tun – vermischt mit der Magie aus den ruhigsten Erzähl-Passagen von "Deathaura" von The Days of Grays. Immer wieder präsentiert Tony eine Theatralik im Gesang, die man höchstens in "Larger Than Life" auf Pariah's Child schon einmal gehört hat – aber in purer Melancholie – während die Erzählstruktur genau das ist, was man sich von einem Nachfolger wünscht. Und wenn der Song vorbei ist, hat man das Gefühl, etwas Großes erlebt zu haben.

Der letzte reguläre Track des Albums heißt "On the Faultline (Closure to an Animal)" und ist eine sehr ruhige Variante des Openers "Closer to an Animal" mit abgeändertem Text. Von melancholischem Piano getragen, wirkt der Song in dieser Version wie eine sehr reflektierende Ballade – und das nicht ohne Grund: Ist der Song doch der Rückblick auf das eigene Leben. So wird der Kreis des Albums perfekt geschlossen. Leute, die "Closer to an Animal" vielleicht nicht so mochten, werden diese Variante sicherlich dennoch mögen. Als tragische Ballade funktioniert das Stück einfach perfekt.

In Japan gibt es dazu noch den Bonus-Track "Run to You", welcher eine Cover-Version des berühmten Bryan Adams-Songs von 1984 ist. Und wer den Bonus-Cover-Track auf Ecliptica Revisited von Genesis' "I Can't Dance" gehört hat, weiß genau, was er hier zu erwarten hat: Tony, der einfach nur Spaß hat, den Rock-Klassiker mit Augenzwinkern und lässiger Attitüde zum Besten zu geben. Wer jedoch mit 80er-Covers nichts anfangen kann, der wird auch von Sonatas Variante von "Run to You" nicht überzeugt werden. Ich persönlich finde die Version ganz witzig – sie macht einfach Spaß.

Alles in allem ist The Ninth Hour genau das, worauf viele Sonata-Fans lange warten mussten. Sonata Arctica haben ihre Ankündigung, zu alten Tugenden zurückzukehren, in einem so vollständigen Maße wahr gemacht, dass es nun ENDLICH keine zwiegespaltene Diskussion über den Stil der Band mehr geben wird. The Ninth Hour ist, wie schon zuvor gesagt, einfach ein wunderschönes Geschenk an die Fans. Und das glücklicherweise nicht irgendwie aufgesetzt, künstlich oder "fabriziert", sondern tatsächlich mit Leidenschaft, Spielfreude und Hingabe. Der Anfang des Albums mag noch ein wenig holprig sein, doch spätestens nach den beiden Vorab-Songs (die man jedoch ebenfalls recht schnell ins Herz schließen kann), steht eindeutig fest: DIESES Album wird definitiv eine laaaaange lange Zeit im CD-Player rotieren. Es gibt so viel zu entdecken, so viel zu genießen und so viel euphorisierende Sonata-Energie, dass sich Fans weltweit endlich wieder einig sein können:

"It truly makes the most beautiful music."

Danke, Sonata Arctica.
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#30
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[Bild: 20170216151621102729zlkt4.jpeg]


Interpret: Linkin Park
Titel: One More Light
Format: Album
Release: 19.04.2017
Genre: Mainstream-Pop

Anspiel-"Tipp":
Wie die meisten Linkin Park-Hörer, bin ich schon seit den Anfängen der Band ein großer Fan. "Hybrid Theory" und "Meteora" waren wie aus einem Guss und damalige Experimente à la "Breaking the Habit" (völlig ohne rockige E-Gitarren) waren mehr als willkommen. "Minutes to Midnight" war zwar weicher und hatte schwächere Momente, aber alles in allem war es ein super Album (und bei "Leave Out All the Rest" kommen mir noch immer die Tränen). Von "A Thousand Suns" war ich dann anfangs enttäuscht, weil es mir sehr befremdlich vorkam, ABER: Dann hab ich mich so richtig in das Album reingehört, mir das Making Of angeschaut und das Album Stück für Stück besser verstanden. Für mich persönlich ist es tatsächlich zu einem der besten LP-Alben überhaupt geworden. Bin generell auch kein Genre-Purist mit Scheuklappen, sondern genieße derartige Experimente. Denn genau das war es! DAS war experimentell, andersartig, und genre-untypisch, aber immer noch 100% Linkin Park. Und das WAR ja immer das Tolle an Linkin Park: Sie haben Stile und Stil-Elemente vermischt, um etwas Neuartiges zu schaffen.
"Living Things" fand ich klasse und "The Hunting Party" hat mich mit seiner rohen Energie in perfekten Dosierungen sehr positiv überrascht.

Aber das jetzt?

"One More Light" ist tatsächlich SO standardmäßiger Mainstream-Ami-Pop, dass ich's einfach nicht verstehe. Musik à la Justin Bieber, und das schreibe ich jetzt nicht, weil's der Standardname ist, wenn man Bands schlechtredet – das Album ist tatsächlich nah am Justin-Bieber-Stil. Oder auch an dem Stil, den Miley Cyrus vor ein paar Jahren bedient hat. Gut... "Pop" ist als Umschreibung vielleicht etwas breit gefasst – da gibt's natürlich eine Menge Stilrichtungen, aber wenn ihr das Album hört, werdet ihr den Musikstil definitiv als den Standard-Kram, der von den Radiostationen seit einigen Jahren totgenudelt wird, erkennen. Und wenn's nur das wäre! Dazu kommt aber noch, dass das neue Album vor regelrechten Kindergarten-Melodien nur so strotzt und dass einzelne Wörter und kurze Phrasen ENDLOS wiederholt werden.

Mike Shinoda hat in nem Interview gesagt, dass die Band meistens um die 18 Monate an nem Album sitzt und daher "gar nicht so sehr Trends nachgehen KANN", weil man dann nach den 18 Monaten ja zwangsläufig "out" wäre, oder aber einem Trend zuvorkommt, der zu Beginn der Album-Arbeiten noch gar nicht da war. Ah ja. Sicher doch. Nur dass sich der Pop-Stil auf diesem Album exakt so anhört, wie der Ami-Pop der letzten 5 bis 7 Jahre. Von wegen "keine Orientierung am Mainstream". SO abgeschottet kann eine Band doch gar nicht sein, dass sie nicht mitkriegt, was überall im Mainstream-Radio rauf und runter dudelt und dann "aus Versehen" genau diesen Stil zurechtbastelt.

Ein anderes "Argument" von Mike war: "Aber das ist immer so! Die Leute hören die Studioaufnahmen und finden sie total schlecht, aber wenn sie hören, wie wir das live spielen und dann mit Rock vermischen und den Songs Ecken und Kanten geben, dann finden sie's plötzlich gut." – ja, dann packt DIE ART von Musik doch einfach auch auf's Album! MANN!! Wenn's doch das ist, was ihr eigentlich gerne macht!

Aber naja... dass sich die Scheibe sowieso verkauft wie geschnitten Brot, dürfte jedem klar sein. Allein schon durch die ganzen Vorbestellungen alteingesessener Fans, die blind alles kaufen, was den Namen "Linkin Park" trägt – was ich teilweise auch verstehe und solche Fans tun mir jetzt schon leid, bei dieser herben Enttäuschung. Durch den Mainstream-Pop-Markt werden die Verkäufe nun sicherlich noch wesentlich mehr angekurbelt.
Und... ganz ehrlich... wenn selbst Linkin Parks (meiner Meinung nach grässliches) Dubstep-Spin-Off-Album "Recharged" so viel Ertrag bringt (8. Platz der bestverkauften Dance/Electronic-Alben UND 25. Platz der bestverkauften "Hard Rock"-Alben in den USA, kein Witz), dann wundert einen gar nichts mehr.

Weiterentwicklung sollte im Grunde so sein, dass man als Band zwar frische Neuerungen bringt und nicht auf der Stelle stehen bleibt, aber dennoch sollte die Band einen Wiedererkennungswert haben – und der war selbst bei den kuriosesten Songs auf "A Thousand Suns" noch irgendwo vorhanden. Ebenfalls klar: Niemand *braucht* wirklich eine Eins-zu-eins-"Hybrid Theory"-Kopie oder eine "Meteora Vol. 2". Wer die alten Alben der Band hören will, der KANN sie ja auch hören! Die existieren immer noch und sie werden uns auch durch das neue Album nicht weggenommen! Und die Band würde sich wahrscheinlich auch blöd vorkommen, wenn sie immer wieder denselben Kram machen würde.

Aber Fakt ist, dass an "One More Light" nichts – aber auch GAR NICHTS! – individuell, kreativ, inspiriert oder inspirierend ist. Wenn der Kram im Radio läuft, hat man den Eindruck, man hört irgendeinen Standard-Interpreten. Und DAS Gefühl hatte man bislang bei keinem Linkin Park-Release. (Man hofft schon fast, dass niemand einen beim Hören von "One More Light" erwischt, weil dann unter Garantie sowas kommt wie "Was hörst DU denn da??!") Ich kann in Bezug auf dieses Album nur eins tun: es komplett ignorieren und hoffen, dass mir das nächste LP-Album eventuell wieder IRGENDWAS gibt. Denn "One More Light" ist für mich kein Linkin Park-Album, sondern "One More Lame Pop Album" in einem See aus austauschbarer, glattgebügelter, irrelevanter Produkte.
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