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[Review] Lords of Midnight (PC Windows-Remake, 2013)
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[Bild: TNlords_of_midnight.jpg]
Lords of Midnight ist ein sage und schreibe 1984, vor einem ganzen Menschenalter erschienenes Ausnahmespiel. Auf einer Handvoll Bytes hat Entwicklerlegende Mike Singleton (inzwischen leider seinem eigenen Kampf gegen den Krebs erlegen) eine ganze Welt realisiert, die den heute so viel strapazierten Ausdruck „episch“ wahrlich verdient. Eine Reihe von Remakes erschien in den Jahren. Zu dem Spiel existiert eine Dosversion, später wurden von Fans stilechte Remakes sogar z.B. für den Game Boy Advance programmiert. Für Windows gibt es ebenfalls zwei seit längerem in der Entwicklung befindliche Remakes. Während diese letzteren sich grafisch allerdings recht stark vom einfachen, aber in seiner Zweckmässigkeit attraktiven Grafik des Originals entfernen, erschien im letzten Jahr ein Remake für diverse Plattformen, das den Geist des Originals treu erhalten will. Vor ein paar Wochen ist endlich eine Windowsfassung dieses Remakes erschienen. Zu diesem möchte ich Euch gerne meine Empfindungen und Gedanken weitergeben.

[Bild: LordsOfMidnightThe.gif] [Bild: LordsOfMidnightThe.gif]

Handlung

Lords of Midnight (LOM) ist ein besonders Spiel, das nicht ohne Grund als eines der einflussreichsten Spiele aller Zeiten gilt. Vor nunmehr bald dreissig Jahren erschienen, vermischt es auf einzigartige Weise Rollenspiel, Strategie und Adventure in einem originellen Konzept. Ehe das Spiel beginnt, empfiehlt es sich, einen Blick ins Handbuch zu werfen (oder in die .pdf, die sich auf der Seite des Remakes kostenlos herunterladen lässt) und die Kunstvolle Karte mit ihren dutzenden Ortschaften, Burgen, Ruinen etc. zu Gemüte zu führen. Dadurch bekommt man gleich einen ersten Eindruck von der „Epik“ dieses Werkes. Mike Singleton zeigt sich im Handbuch denn auch als Epiker im Wortsinn: Er schreibt gekonnt und sehr lesenswert die Geschichte des War of the Solstice, in den wir einbezogen werden, beschreibt die vier Anfangscharaktere, deren oberster – Lord Luxor – wir persönlich verkörpern, und er schreibt über die Welt Midnight, die unter ewigem Eis begraben liegt und endlose, kalte Ebenen und furchterregende Gipfel beheimatet. Hier wird auch schon deutlich, wie dringlich unser Einsatz ist, denn Lord Doomdark, der finstere Hexerkönig aus dem Norden, ist drauf und dran, die Welt zu unterjochen. Der Startschuss ist gegeben...

Gameplay

Hochspannend ist also die Ausgangslage gesetzt, und unmittelbar sehen wir uns ins Geschehen gestürzt: Wir stehen mitten in der Pampa, mit uns drei erste Mitstreiter: Luxors Söhnlein Morkin, der Zauberer Rothron the Wise sowie Corleth the Fey. Dabei haben diese Charaktere unterschiedliche Stärken: Luxor etwa vermag jeden neutralen Lord auf seine Seite zu ziehen und sein magischer Ring vermag den ihm nahestehenden Truppen Mut gegen Doomdarks stärkste Waffe – die „Ice-Fear“ zu geben (mit dieser absonderlichen Magie vermag der dunkle Lord den Mut des gestähltesten Helden zu brechen und ihn eventuell sogar zur Desertion zu treiben). Rothrons genauen Zweck habe ich in meinem ersten Durchgang noch nicht so erkannt. Corleth hingegen, der einem Waldvolk angehört, vermag seine neutralen Angehörigen zum Krieg gegen den dunklen Lord zu überzeugen. Morkin schliesslich ist sehr relevant für den Adventure-Part des Spiels, zu dem wir gleich kommen werden.
Das Spiel läuft rundenbasiert ab: Wir ziehen unsere Charaktere entweder einzeln oder in Gruppe, während mit jedem Zug sich die Tageszeit ändert. Wenn die Nacht einbricht, müssen wir ausruhen, doch nachts hetzt Doomdark seine finsteren Schergen gen Süden, um die "Freien Länder" zu erobern. Dabei sehen wir die Spielwelt tatsächlich aus der Perspektive des jeweiligen Charakters, den wir gerade verkörpern. Schrittweise bewegen wir uns dabei durch das Gelände, etwa wie in den alten Might and Magic-Teilen. Das Gelände bestimmt dabei die Sichtverhältnisse: In Hügeln z.B. können sich Feinde vor unseren Blicken verbergen, während wir Wälder als Verstecke ausnutzen können.

Wir haben prinzipiell zwei Möglichkeiten, das Spiel zu beenden: Entweder senden wir den Knaben Morkin in Begleitung eines kleinen Expeditionsheeres rasch über versteckte Pfade nordwärts, um die "Ice Crown", die Quelle von Doomdarks Macht, zu zerstören und somit seine Macht zu brechen. Das wäre der Adventure-Part des Spiels, in dem wir einige besondere Charaktere suchen gehen, die wir für das Unterfangen benötigen.
Andererseits können wir aber auch durch die Lande ziehen und in Festungen Truppen rekrutieren, andere, bislang unbeteiligte Lords zum Mitmachen im heiteren Ringelreigen überreden oder Ruinen und Heiligtümer erforschen. Auch nach Lust und Laune allerhand übles Getier können wir verdreschen, so uns die Lust danach steht. Wenn wir schliesslich ein stattliches Heer zusammen haben, empfiehlt es sich, den Ansturm von Doomdarks Truppen erst abzuwehren, ehe man selbst in die Offensive geht. Auch das will aber wohlüberlegt sein, denn Doomdarks Truppen sind den eigenen zahlenmässig haushoch überlegen und gerade in den ersten zwanzig Zügen schickt der grimme Herrscher wahre Legionen in den Süden. Interessant dabei: Während sein Hauptziel die Ermordung Luxors und des jungen Morkin sowie die Eroberung der südlichsten Zitadelle ist, haben seine Truppen unterschiedliche „Prioritäten“. Ein Teil soll gezielt Luxor verfolgen, ein anderer Morkin. Ein Teil hingegen soll durch die Gegend ziehen und ziellos angreifen, was sich nähert. Der allergrösste Teil des Heeres aber versucht systematisch alle Festungen zu erobern und zu besetzen. Das ist strategisch interessant, weil es so durchaus sinnvoll sein kann, viele der eigenen Festungen aufzugeben und sich zurückzuziehen, damit sich die Truppen Doomdarks „verzetteln“.
Wirklich spannend ist es, in einer Mischung aus Adventure und Strategie zu spielen, also z.B. ein gewaltiges Heer sammeln und zugleich mit Morkin und Entourage auf Queste gehen.
Stirbt Morkin, ist das für jemanden, der strategisch spielt, eher nebensächlich: Der Kleine kann ohnehin nicht kämpfen. Stirbt aber Luxor, so ist das gravierend: Sämtliche ihm treuen Lords entfallen dann nämlich der Kontrolle des Spielers. Morkin kann’s allerdings wieder richten: Indem er den Ring des Vaters holt, kann er zum Nachfolger avancieren. Gleichzeitig macht ihn der Ring aber auch für den dunklen Herrscher sichtbar. Dieser wird dann alles Verfügbare daran setzen, den vorlauten Jüngling zum Schweigen zu bringen...

Technik

Ein eigenartiger Reiz wohnt der minimalen Grafik dieses Spiels inne: Der technischen Beschränkung des Urmediums des Spiels zum Trotz hat es Mike Singleton geschafft, ein ästhetisch meisterhaftes Werk zu erschaffen, das gerade die Beschränkung zur Stärke erhebt: Die Spielwelt wirkt nämlich gerade durch den scharfen Kontrast zwischen dem endlosen, eintönigen Weiss der Eiswüste und den starken Farben der Charaktere sehr überzeugend und dramatisch umgesetzt. Ausserdem ist es an sich schon recht bemerkenswert, im Jahr 1984 eine in quasi-3d umgesetzte Spielwelt präsentiert zu bekommen, die aus Zehntausenden von verschiedenen Perspektiven zusammengesetzt ist.
Sound ist übrigens überhaupt keiner vorhanden. Das mag zunächst irritieren, rückt aber bald in den Hintergrund, denn der Grossteil dieses Spiels findet im Kopf statt. Ich habe mich oft erwischt, wie ich, gleichsam dem Mangel an akustischer Rückmeldung Abhilfe schaffend, die Namen der einzelnen Lords angesprochen habe und Pläne für den Feldzug murmelnd durchgegangen bin. Selbstgespräche führe ich sonst eigentlich eher selten. Wink

Fazit

LOM hat mich überrascht wie kaum ein Spiel die letzten Jahre. Zwar gibt es einige Perlen aus den frühen 80ern, die ich mit grosser Beglückung immer wieder Spiele (das unverwüstliche Chaos z.B.), aber LoM beweist eine erstaunliche Tiefe und Breite in Handlung, Spielwelt und Gameplay, die ihresgleichen sucht. Dass im viel zu früh verstorbenen Singleton ein künstlerischer Geist am Werk war, sieht man an der Detailliertheit, in der er seine Welt aufgezeichnet und –geschrieben hat. Und genau diese Liebe, dieses Herzblut merkt man dem Spiel noch heute an. Bei der Arbeit am Remake war Singleton involviert.
Da mir persönlich die „krümeligen“ Originalgrafiken einen Deut besser gefallen als die abgerundete Neufassung, spiele ich LoM jetzt noch mal in der GBA-Fassung per Emu, ehe ich mich dann in den zweiten Teil der Saga stürze.

hier noch einige Links:
Das aktuelle Remake (weist noch ein paar geringfügigere Bugs auf):

http://www.thelordsofmidnight.com/

Hier ein ambitioniertes 3d-Remake:

http://www.frozenempire.net/?page_id=26

Hier eine andere, sehr gelungene Remake-Seite, wo sich unter Downloads auch die Dos-Versionen befinden, wenn ich mich nicht täusche:

http://www.icemark.com/

Den Link für die beiden GBA-Remakes der Teile 1 und 2 finde ich gerade nicht. Die meisten Verlinkungen sind inzwischen gelöscht - aus "Lizenzgründen", natürlich. Aber mit ein wenig Googleglück lassen sie sich finden. Ich lege es nach, wenn ich gerade darauf stosse.

edit:
hier bittscheen:
http://pdroms.de/files/gameboyadvance/th...night-v1-4


Bildernachweis: http://www.worldofspectrum.org/infoseeki...id=0006604
Von der Original-Speccy-Version, weil mir die Krümel eben gefallen. Wink
Das Cover stammt von The Legacy.
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#2
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Whow, vielen Dank für diese informative Ausarbeitung!

Solche Fleißarbeiten - genau mein Ding! Elefant
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#3
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Ich danke für's geneigte Lesen. Smile
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#4
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Netter Bericht Fröhlich.

Das Spiel hört sich zwar nicht unbedingt nach meinen favorisierten Spielelementen an, aber ich bin zumindest neugierig geworden Smile. Ich werde auf jeden Fall mal einen genaueren Blick darauf werfen.
[Bild: cgb-signaturwdjiq.png]
Du hast eine (nicht mehr ganz so) geheime Botschaft entdeckt:
"Besucht Heinrich's Spiele-Ausstellung!" ;-)


Big Grin Big Grin
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#5
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Danke sehr. Nur zu, es lohnt sich. Aus spielhistorischer Perspektive sowieso.

Noch ein kleiner atmosphäresteigernder Tipp, wenn jemand das Spiel probieren möchte und sich über den nicht vorhandenen Sound betrübt: Ich lasse auf Youtube einen 12h-Schneesturm-Sound laufen, während ich durch die kälteklirrenden Schneeweiten von Midnight ziehe. Das gibt gleich einen gehörigen Atmosphärebonus. Smile
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#6
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Danke für das ausführliche Review. Ich bin auch immer wieder beeindruckt von Spielen aus der Ära, die eine Vorreiterrolle eingenommen haben (sowas wie Elite z.B.), auch wenn ich damit oft nichts anfangen kann. Vielleicht schaue ich mir eines der Remakes von Lords of Midnight ja tatsächlich mal an. (Vielleicht wird es auch Darklands oder Ultima.^^)
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#7
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Du hast das Ding tatsächlich gelesen? Respekt! Big Grin Persönlich finde ich ja Doomdark's Revenge nochmal beeindruckender. Beide waren ihrer Zeit um viele Jahre voraus, aber sind beide nicht unbedingt "Vorreiter": Etwas Vergleichbares gibt's bis heute nicht. Sind also Unikate. Schade nur, dass der verschollene dritte Teil, "Eye of the Moon", wohl für immer ein Träumchen bleiben wird.
Die beiden inoffiziellen GBA-Remakes sind vom Spielkomfort her m.M.n. die beste Lösung (die Remakes von 2013/2014 finde ich dagegen gar nicht toll).

Aber in der Tat sind auch Darklands und Ultima Underworld nicht verkehrt. Smile
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