19.05.2014, 22:29
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Gone Home
Hallo zusammen. Ich habe gerade Gone Home zuende gespielt und möchte einige Eindrücke daraus erzählen, so lange sie noch frisch sind.
Bei Gone Home handelt es sich genaugenommen nicht um ein Spiel, insofern man ein solches von einem starken Gameplay abhängig macht. Vergleichbar mit dem für mich ebenfalls einzigartigen Dear Esther erzählt Gone Home eine Geschichte, die ich erlebe, indem ich mich durch die Welt bewege, diese Welt genau beobachte und Zusammenhänge hinter der Oberfläche und zwischen den Zeilen lese. Ich erhalte keine "Achievements" und werde auch sonst durch nichts aus der Immersion gerissen. Ich erfahre vielmehr eine begehbare Handlung, die mich zum Interpretieren einlädt.
Handlung und Spielwelt
Gone Home erzählt die Geschichte von Katie Greenbriar, einer jungen Frau, die 1995 von einer einjährigen Europareise zurück nach Amerika kommt und das Haus ihrer Familie verlassen vorfindet. Es liegt nun an uns, in ihrer Rolle Licht ins Dunkel zu bringen und uns anhand überall verstreuter Briefe, Notizen, amtlicher Schreiben usf. in die Geschehnisse dieses vergangen Jahres hineinzulesen und -leben. Briefe und Notizen sind in individuellen Handschriften gehalten, was dem ganzen einen starken Charakter von Autentizität verleiht. Dabei kommen einige familiäre Geheimnisse zu Tage und regen gehörig zum Denken an.
So erzählt Gone Home zwar im Zentrum die Geschichte einer Familie, zugleich aber porträtiert es ein vergangenes Zeitalter: Die 90er mit ihren typischen Versatzstücken wie Videokassetten, ihren Stilelementen und ihrer Popkultur. Das Haus der Familie Greenbriar ist mit einer schier unglaublichen Detailliebe eingerichtet, wobei wir praktisch jeden Gegenstand aus der Nähe betrachten können. Ein Gefühl von wirklicher Immersion ist hier vorhanden und manchmal empfand ich das Spiel wie eine Liebeserklärung an dieses entschwundene Zeitalter.
Während wir uns also durch das Anwesen bewegen, Schubladen öffnen, Kassetten hören und Briefe lesen, macht das Spiel etwas, was ich so noch nie erlebt habe: Es lässt mich echt und tief ergriffen Anteil nehmen am Geschehen in der Familie, gibt mir sensible Einblicke in die intimsten Lebensbereiche der Familie. Es lässt mich teilhaben an Fühlen und Leiden, an enttäuschten Hoffnungen und unglücklichen Lieben. Dennoch hat das Spiel nie etwas Voyeuristisches oder Plumpes - ich bewege mich stets mit einem Gefühl von Anteilnahme und Respekt durch die Räume und bin bedacht, behutsam mit den Gegenständen umzugehen - ich empfand es wie eine Frage des Vertrauens. Dieses Gefühl der Nähe und Vertrautheit hat mich sehr berührt und macht für mich eine der Hauptstärken der Erzählweise dieses Spieles aus. Einen grossen Anteil daran haben die sehr gut gesprochenen Mitteilungen der ebenfalls verschwundenen Schwester, Sam, die uns durch unsere ganze Erkundigung begleiten.
Gameplay
Das Gameplay beschränkt sich, wie bereits erwähnt, auf mein Fortbewegen und Begehen des Hauses. Die Erkundung geschieht dabei sehr zwanglos. Ich kann mich schon zu Beginn fast frei im Anwesen bewegen - trotzdem aber schafft es das Spiel durch sehr subtile Lenkungen, mich in die richtigen Räume zu dirigieren, ohne dass ich dies bewusst wahrnehme oder als Gängelung empfinde.
Gone Home bietet keine Rätsel im klassischen Sinn - das Rätsel ist die Entschlüsselung der Story, die sich nicht nur über das Gelesene und Gesagte offenbart, sondern auch durch das Gesehene in der Spielwelt. Das ist nicht für Jedermann, und wer heiteres Rätselraten erwartet, wird herb enttäuscht. Für mich war es aber passend, weil es eine ein ununterbrochenes Erleben gewährleistet.
Technik
Was die Technik anbelangt, bietet Gone Home eine für meinen Geschmack sehr überzeugende Grafik, die zwar nicht dem modernsten Stand entspricht, dafür aber voller Details steckt und ein Eintauchen in die Geschichte perfekt unterstützt. Soundtechnisch bietet es atmosphärische Umgebungsgeräusche: Draussen wütet ein Gewitter, während drinnen immer mal wieder sonderbare Geräusche einen aufhorchen lassen (immerhin soll es sich gerüchteweise um ein Spukhaus handeln). Die einzige, sehr gut vertonte Stimme ist dabei die von Katies Schwester Sam.
Fazit
Gone Home hat mich sehr überrascht. Es schafft es überzeugend sowohl eine Zeitepoche als auch eine Familie und darin besonders das Schicksal eines einzelnen Familienmitgliedes zu erzählen. Es erlaubt einen sehr intimen, persönlichen Zugang und hat mich berührt wie schon lange kein Spiel mehr. Auch wenn es kein eigentliches Gamplay besitzt und nach 2-3 Stunden bereits vorbei ist, hat es einen tiefen Eindruck auf mich hinterlassen. Ich kann es jedem empfehlen, der sich für Erzählexperimente interessiert. Für mich ist das wiederum ein Spiel, das den Titel Kunst verdient, weil es etwas zutiefst Menschliches auf dieses Medium zu übersetzen versteht und mich, als den Betrachter, unmittelbar einbezieht.