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[Review] Myth: Kreuzzug uns Ungewisse (Windows, Bungie, 1997)
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[Bild: 926394523-00.jpg]

Ich möchte Euch gerne ein weiteres Spiel vorstellen, dass mich tief beeindruckt hat. Ich spiele es noch heute regelmässig (wenigstens einmal im Jahr ganz). Es handelt sich dabei um das Echtzeit-Taktik-Spiel Myth (1) von Bungie Software aus dem Jahre 1997.

Grundcharakteristiken

In Myth tritt man in den aussichtslos erscheinenden Krieg zwischen den Menschen der "Legion" und den untoten Heeren der "Gefallenen Fürsten" ein. Man kommandiert dabei kleine Truppeneinheiten gegen schier übermächtige Feindscharen.
Myth hat dabei einige Besonderheiten, die es revolutionär machten: Es ist das erste mir bekannte Spiel, das eine wirklich konsequente 3D-Perspektive umsetzte, die nicht nur überaus ansprechend aussah (vor allem mit einem Voodoo-Chipsatz), sondern auch allerlei physikalische Schmankerl aufbieten konnte.
Die 25 Missionen sind überaus anspruchsvoll, bedürfen genauer Planung und konsequenter Ausnutzung der Geländeeigenschaften. Sie sind abwechslungsreich und spannend.

Grafik

Die Grafik von Myth war seinerzeit revolutionär. Ob im Software-Modus oder - am besten - mit einer 3dfx-Grafikkarte - das Spiel setzte neue Massstäbe für die Grafik von Echtzeittiteln. Man betrachtet das Spielfeld aus einer quasi-isometrischen Perspektive, kann es aber stufenlos zoomen und drehen und so etliche Perspektiven einnehmen. Das Ganze geht rasch und bequem von der Hand.
Die Landschaften bieten von frühlingshaften Wiesen über tiefgefrorene Pässe alles, was sich das Herz ersehnen könnte.
Die Animationen der Spielfiguren sind eher holperig geraten, dafür erfreuen deftige Blut- und Gore-Effekte das Auge des Kenners. Wer etwa eine Armee heranschlurfender "Höriger" (Zombies) mit freundlichem Pfeilhagel empfängt, vergiesst literweise Blut auf dem Untergrund, und wer gar mit den sprengstoffversierten Zwergen eine Ladung inmitten von Feinden hochgehen lässt, darf sich auf ein wahres Bad aus Blut, Leichenteilen und Gedärmen freuen... Und dank der bemerkenswerten Physik-Engine fliegen die diversen Einzelteile auch noch physikalisch korrekt in der Gegend herum. Man sieht, das Spiel ist wahrlich nichts für Zartbesaitete.
Ein winziges Detail, das mir ausserdem angenehm aufgefallen ist: In diesem Spiel gibt es tatsächlich auch Linkshänder! Nicht alle Krieger halten ihre Schwerter/Bögen in der rechten Hand.

Sound

Während die Grafik zu beeindrucken vermag, ist die Soundkulisse sehr sparsam. Ein angenehmer Sprecher liest uns vor jeder Mission einen Eintrag aus seinem Tagebuch vor. Während der Missionen hören wir lediglich Schlachtfeldgeräusche, die sind aber gut umgesetzt. Ob Schwerterklirren, Pfeilhagel, explodierende Sprengladungen oder zerstörerische Zauber - das Schlachtfeld kommt als solches rüber.
Unverständlich: In der englischen Originalversion besitzt das Spiel Musik bei den Missionsbeschreibungen und Sprachausgabe während der Missionen - in der deutschen Version wurde das scheinbar rausrationalisiert...

Gameplay

Die Missionsvielfalt weiss zu beeindrucken. Während wir in der einen Mission ein Dorf vor dem untoten Überfall schützen, müssen wir in der nächsten einen Verräter töten. Einsätze mit einzelnen Helden, die Suche nach Artefakten und das Bezwingen von mächtigen untoten Zauberern ("Schatten") gehört ebenfalls dazu. An Abwechslung mangelt es nie.
Obwohl die Anzahl der kontrollierbaren Einheiten in keiner Mission grösser ist als 25-30 und sich aus bloss fünf Grundtypen zusammensetzt (Krieger, Berserker, Bogenschützen, Zwerge, Waldriesen) eröffnet dies eine grosse taktische Tiefe. Während die Gefallenen Fürsten grundsätzlich über eine riesige Übermacht an Truppen verfügen, muss der Spieler mit seiner eingeschworenen, aber sehr kleinen Gruppe wahre Meisterleistungen taktischer Raffinesse zeigen.
Wer das Gelände und die Eigenheiten der Physik richtig einschätzt macht es sich viel leichter. Beispielsweise können Bogenschützen aus erhöhten Positionen weiter schiessen, bei Regen werden ihre Pfeile aber je nachdem abgelenkt. Besonders tückisch sind die Molotovcocktails der Zwerge: Diese Dinger neigen gerne dazu, mitten im Flug auszugehen (besonders bei Schnee- oder Regenfall), nicht direkt bei Feindkontakt hochzugehen oder - besonders gefährlich - von Hindernissen abzuprallen. Im schlimmsten Fall zerfetzt so ein unbedacht geworfenes Teufelsding einem das halbe Heer, indem es flugs zurück in die eigenen Reihen einschlägt.
Wichtig für den Erfolg sind auch Formationen - deren gibt es zehn, die man bequem über die Zahlentasten anwählt: Wer in lockerer Formation Krieger vor den erhöht stehenden Bogenschützen aufstellt und von den Zwergen flankieren lässt hat gleich bessere Karten. Flanken und Rückseite sollten nie vergessen werden - plötzlich vermag ein geschickter Ausfall des Feindes das Blatt sonst rasch wieder zu wenden.
Die Einheiten gewinnen durch erfolgreich überstandene Gefechte rudimentär Erfahrung, die sie stärker werden lässt. Überlebende Einheiten sieht man dann in den nächsten Missionen wieder.

Atmosphäre

Ein grosser Teil der Atmosphäre von Myth kommt von der Handlung. Myth erzählt eine düstere Fantasygeschichte in mittelalterlichem Ambiente: Die Gefallenen Fürsten (Fallen Lords), eine Reihe untoter Heerführer, führen einen unbarmherzigen Krieg gegen die Koalition aus Menschen, Zwergen und Fir'Bolg (quasi eine Art Elfen) und deren Anführer, die neun zauberkräftigen Avatara. Was zunächst nicht sonderlich beeindruckend klingt, entpuppt sich als erzählerisch raffiniertes Meisterwerk. Das gelingt vor allem über die angewandte Erzählperspektive: Wir erfahren vom Krieg aus der Perspektive eines einfachen namenlosen Streiters, der sein Tagebuch schreibt. Genau wie er fühlen wir uns angesichts der unüberwindbar scheinenden Bedrohung hoffnungslos und ungewiss (Kreuzzug ins Ungewisse ist ein wirklich treffender Titel für das Spielgefühl). Wenn er von den Geschehnissen des Krieges erzählt, wissen wir, dass es nur eine Perspektive unter vielen ist, dennoch wird er zum einzigen Gewährsmann für uns - das geht sogar so weit, dass ich mich als Spieler wie ein Mitstreiter fühle. Ich fühle mich geradezu ethisch verpflichtet, den "guten Kampf" mitzuführen. Klasse!
In den Missionen schafft das Spiel ein Schlachtfeldfeeling, wie ich es sonst nicht kenne. Wenn meine tapfere Schar etwa einen Flussübergang bei Regen und Donner mitten in der Nacht bewachen muss und ich schaudernd beobachte, wie unzählige Reihen von schwankenden Gestalten aus dem Fluss steigen und sich anschicken, meine Anhöhe zu erobern, fühle ich mich mittendrin. Wenn dann die ersten Pfeile zischen, die Sprenggeschosse der Zwerge durch die Luft fliegen und die Schlacht in der Luft liegt, werde ich regelrecht nervös. Ich hoffe dann mit jedem fliegenden Molotovcocktail, dass er sein Ziel erreicht, dass er explodiert, dass er nicht vorher im Regen ausgeht. Ich zittere, dass es meine Bogenschützen schaffen, die "Druden" (eine Art Hexe) abzuschiessen, ehe die ihre todbringenden Blitze in meinen Reihen entladen. Ich schwitze, wenn ich die donnernden Schritte der riesenhaften "Trow" höre, ohne sie zu sehen und fiebere mit, dass mir die speerwerfenden "Seelenlosen" meinen wertvollen Zwerg nicht durchbohren, eher der in Sicherheit hinter den eigenen Linien ist. Ich tue das, weil jeder noch so kleine Fehlschritt das Ende meines Feldzuges bedeuten könnte. Während die Feindbewegungen im wesentlichen vom Programm vorgegeben sind, bleibt immer ein gehöriges Quäntchen Glück notwendig für den Sieg. Wie gesagt: Ein unglücklich geworfener Molotovcocktail kann mir schnell das halbe Heer zerfetzen...
Kurzum: So ein deftiges und brutales, aber auch bei jedem Erfolg tief beglückendes Schlachtfeld-Gefühl im Verbund mit einer mitreissenden Handlung kenne ich sonst von keinem anderen Spiel.

Fazit

Myth: Kreuzzug ins Ungewisse ist für mich seit Jahren eines der spannendsten Taktikspiele überhaupt. Technisch war es damals eine Revolution, ist aber dennoch nie sehr berühmt geworden. Der Schwierigkeitsgrad ist anspruchsvoll, die Missionen abwechslungsreich. Der Nachfolger - Myth 2: Soulblighter (199Cool - führt die Geschichte fort und bietet objektiv betrachtet ein geschliffeneres Spielerlebnis mit besserem Balancing und schönerer Technik. Mir selber ist der etwas "ungeschliffenere" Erstling lieber. Dennoch ist auch Soulblighter ein wirklich packendes Erlebnis. Ausserdem werkelt eine unermüdliche Community noch heute an Patches, um das Spiel auch auf modernen Systemen lauffähig zu halten. Auf projectmagma.net und tain.totalcodex.net findet man darüber hinaus unzählige, zum Teil sehr gelungene Mods zu Myth 2 - unter anderem auch einer, der einen das komplette Myth 1 in Myth 2 spielen lässt.
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