28.06.2015, 09:30
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"Wo Licht ist, ist auch Schatten."
So oft dieses Sprichwort nun schon bei Rezensionen verwendet wurde – es passte selten so perfekt wie beim dritten Teil der Thief/Dark Project-Trilogie. Leider ist Deadly Shadows geradezu voll von Schatten. Und während unser Meisterdieb das begrüßen dürfte, ist dies für den Spieler selbst stark von Nachteil.
Thief: Deadly Shadows war seinerzeit die absolute Herzensangelegenheit von Ex-Looking Glass-Mitarbeiter Randy Smith, der schon bei Thief: The Dark Project, Thief: Gold und Thief II: The Metal Age Design-Arbeit geleistet und bei System Shock 2 mitprogrammiert hat. Warren Spector bot ihm nach der Schließung der Looking Glass Studios im Jahr 2000 an, den finalen Teil der Thief-Reihe weiterzuführen – und zwar in seinem Studio Ion Storm. (Warren selbst hatte zuvor ebenfalls bei Looking Glass mitgearbeitet.)
Das große Problem bei der Entwicklung von Thief 3 war jedoch, dass sonst niemand des alten Teams daran mitgewerkelt hat. Die Story stammte von Terri Brosius und Laura Baldwin, die schon den Story-Verlauf der Vorgänger geschaffen hatten und Eric Brosius leitete die Audio-Abteilung, aber das war's schon. Der komplette Rest des ca. 80-köpfigen Teams bestand aus Leuten, die zuvor nichts mit Thief zu tun gehabt hatten. Dass Publisher Eidos außerdem besonderen Wert auf die Konsolen-Version des Spiels legten und davon überzeugt waren, dass der Käuferkreis rapide ansteigen würde, wenn man dem Spiel ein Action-Image verpassen würde (daher auch der Titel "Deadly Shadows"), handelte dem Spiel eine ganze Menge Negativpunkte gegenüber den Vorgängern ein. Kurz vor Beendigung des Spiels wurde Randy Smith entlassen – Kommunikationsschwierigkeiten innerhalb des Teams – und hat Thief: Deadly Shadows bis heute nie auch nur angespielt.
Von den negativen Punkten fallen besonders zwei sofort auf. Erstens die vorschnelle Veröffentlichung und zweitens das Konsolen-Feeling.
Das Spiel wurde im Mai 2004 vorschnell veröffentlicht und wirkt an vielen Stellen unfertig. Es gibt keine Synchronisation in andere Sprachen mehr – auch keine deutsche Sprachausgabe. Stattdessen muss man sich mit deutschen Untertiteln zufriedengeben. Allein das dürfte für die meisten alten Thief-Fans damals der größte Kritikpunkt gewesen sein. (Installiert man das Spiel auf englisch und schaltet dort die Untertitel an, fällt außerdem auf, dass diese sehr asynchron eingeblendet werden.) Auch die Menüs wirken vom Design her und aufgrund der Standard-Schriftarten wie Platzhalter, und Texte in Ladebildschirmen sind den ersten zwei Zeilen noch zentriert, doch in jeder folgenden Zeile linksbündig. Doch einer der herbsten Schnitzer, die sich Ion Storm zugunsten der raschen Veröffentlichung erlaubt haben, ist das vollkommene Fehlen der stylischen Briefing-Videos, die den Vorgängern eine große Portion Charme gegeben haben. Stattdessen liest man nun einen Block Text im Menü und hört, wie Garrett diesen Text vorliest. Eine Schande.
Im Spiel selbst ist das Konsolen-Feeling das Schlimmste. Das Tutorial-Level ist eines der übelsten Sorte – mit all den Dingen, die an Tutorials störend sind. Die Grafik ist verwaschen, die (nur noch 9) Levels sind durch Portale in mehrere Areale eingeteilt, an denen nachgeladen wird, Menüs sind (vorsichtig ausgedrückt) zweckmäßig, das Interface ist übergroß und unansehnlich und die Steuerung ist extrem schwammig. Um es genauer auszudrücken: Man fühlt sich, als wären Kopf und Körper getrennt und man würde beide separat steuern. Denn... das ist auch der Fall.
Letzteres liegt schlicht und einfach an der Art, wie die Spiel-Engine verwendet wird. Während bei Thief 1 & 2 (wie auch in System Shock 2) noch die eigens für Thief entwickelte DarkEngine verwendet wurde, setzten Ion Storm auf Epic Games' Unreal Warfare-Engine. (Besonders tragisch ist dies, wenn man bedenkt, dass Looking Glass Studios zuvor extra die Siege-Engine für Thief 3 und ein Spion-Stealth-Game namens Deep Cover, welches nie das Licht der Welt erblickte, entwickelt hatten. Verwendet wurde die Engine letztendlich nie.) An sich war die Unreal Warfare-Engine anno 2004 höchst eindrucksvoll, was besonders bei Unreal II, Unreal Tournament 2004 und Deus Ex: Invisible War ersichtlich war.
Und auch in Thief: Deadly Shadows sind dynamische Beleuchtung und dynamische Schatten eine wahre Augenweide und sorgen für tolle Situationen. Doch Ion Storm machten einen fatalen Schritt in die falsche Richtung. Sie gaben dem Hauptcharakter Garrett einen kompletten Ragdoll-Körper und ermöglichten somit auch das Spielen in der 3rd-Person-Perspektive. Darunter leidet die Steuerung so drastisch, dass sich das Spielgefühl nie so richtig rund anfühlt. Dass die 3rd-Person-Perspektive übrigens ganz nebenbei das absolute "Erste Gebot" der Looking Glass Studios bricht, nämlich die perfekte Immersion; das Hineinfühlen des Spielers in die Spielwelt, soll nicht unerwähnt bleiben.
Doch der Immersionsbruch hört dort leider noch nicht auf. In Thief: Deadly Shadows kann Garrett nun nicht mehr schwimmen, sondern stirbt umgehend, sobald er ins Wasser fällt. Außerdem hat er eines seiner wichtigsten Accessoires hinter sich gelassen: die Seilpfeile. Vorbei ist das vertikale Erforschen der Stadt, vorbei sind Ausflüge über die Dächer und vorbei sind somit auch viele alternative Routen, die Thief: The Dark Project und Thief II: The Metal Age so aufregend gemacht haben. Stattdessen bekommt man sehr spät im Spiel Kletterhandschuhe, mit denen man an Wänden hochklettern kann. Schade nur, dass die Freude daran umgehend gedämpft wird, wenn man feststellt, dass man in 90% der Fälle an den unsichtbaren Himmel stößt und somit die Dächer doch nicht erklimmen kann.
Man möchte sagen, dass der Spieltitel "Deadly Shadows" also ein wenig selbstironisch gewählt ist: Die Schattenseite des Spiels wirkt tatsächlich wie ein Todesstoß für das Spiel. Doch – um den Spruch vom Anfang einmal umzudrehen – "Wo Schatten ist, ist auch Licht." Warum Thief: Deadly Shadows blendende Unterhaltung ist? Ganz einfach!
Jedes einzelnde der Elemente, die den Looking Glass-Leuten zuzuschreiben sind, macht das Spiel zu einem würdigen Abschluss einer legendären Spiele-Trilogie.
Die Story des Spiels ist ein fesselndes, fulminantes und episches Finale, das bis heute Seinesgleichen sucht. Das vertraute Sound-Design lässt einen umgehend wie zuhause fühlen und sorgt für absolute Immersion und die animierten Zwischenvideos, die Markenzeichen der Reihe geworden sind und die Story erzählen, sind besser denn je. Das Wissen und das Sagen- und Märchengut über die Welt wird weitergeführt, alles, was Garrett bisher geschah, wird zur Kenntnis genommen. Menschen unterschiedlichster Gesinnungen und bekannte Fraktionen machen die Stadt lebendig – und das mehr als je zuvor, da nun auch die Gesichter perfekt animiert sind. Der typische Thief-Charme ist schlicht und einfach 100% vorhanden. Und Garrett? Ist einfach durch und durch Garrett geblieben.
Viele Ideen, die schon während der Entwicklung von Thief II: The Metal Age in den Köpfen des Looking Glass-Teams herumschwirrten, wurden endlich umgesetzt. So gibt es inzwischen ein frei begehbares, zentrales Gebiet in der Stadt, in dem Garrett seine Wohnung hat und von dem aus er nach Lust und Laune verschiedenste Gegenden der Stadt bereisen kann. Er hat die Möglichkeit, sich auf die Seite von bestimmten Fraktionen zu schlagen, dort im Beliebtheitsgrad zu steigen und gegen andere Fraktionen zu agieren. Und wird Garrett im besagten, zentralen Gebiet gefangen genommen, so gibt es keinen "Game Over"-Bildschirm – er muss sich selbst aus der Misere befreien.
Und das ist die Licht-Seite.
All das führt zu dem Schluss, dass Thief: Deadly Shadows eine klare Kauf- bzw. Spiel-Empfehlung von mir bekommt.
Zusammenfassung:
+ absolut überragende Story
+ die originale, authentische Thief-Welt
+ bleibt der Sagen-Welt und Garrett treu
+ frei begehbares zentrales Gebiet der Stadt
+ verschiedene Fraktionen, auf deren Seite man sich schlagen kann
+ unvergleichliche Zwischen-Videos im Thief-Stil
+ perfektes Audio-Design
+ dynamische Licht- und Schatten-Engine
+ voll animierte und lippensynchrone NPCs
– keine deutsche Synchronisation
– Untertitel asynchron
– keine Briefing-Videos
– Menüs und Interface im Konsolen-Stil
– sehr schwammige Steuerung
– Garrett kann nicht mehr schwimmen
– keine Seilpfeile (Kletterhandschuhe sehr dürftig)
– nur 9 Missionen
– Levels eingeteilt durch Ladezonen
Die beste Möglichkeit, das Spiel heutzutage zu spielen, ist die Verwendung von Fan-Modifikationen. Ja, die gibt es auch heute noch – gute 11 Jahre später – von einer eingeschworenen Thief-Fangemeinde.
(Etwas, wovon Eidos Montréal mit ihrem "Thief 2014"-Fiasko, das nach einem halben Jahr aus den Köpfen der Allgemeinheit verschwunden war, nur träumen können.)
Denn es GIBT die Möglichkeit, den Großteil aller Negativpunkte des Spiels auszumerzen:
Thief III – Sneaky Upgrade (Fat Edition)
(Anklicken, um zur Download-Seite des Mods zu gelangen!)
Dieses Upgrade erweitert das Spiel durch:
- stark verbesserte Texturen
- Menüs, die den Vorgängern gerecht werden
- minimalistisches Interface im Stil der Vorgänger
- Briefing-Videos!!!
- keine Einteilung der Levels in Areale – alle Level sind nun komplett begehbar, ohne Nachladen
- Deaktivierung der 3rd-Person-Perspektive
- erhebliche Verbesserung und Stabilisierung der Steuerung
- angepasste Ladebildschirme
Ein MUSS für jeden Thief-Fan.