Dishonored
(Game Of The Year Edition für PS3)
Hallo Heinrich und herzlich willkommen zu diesem kleinen Interview.
Hi Imaginärius. Danke für die Einladung.
Steigen wir doch direkt mit der Spielhandlung ein: Wie gut ist die Geschichte?
Nunja, wer hier eine bombastische Handlung erwartet, dürfte am Ende wohl etwas enttäuscht sein. Die eigentliche Geschichte um den Leibwächter Corvo, der dann zum Attentäter wird, ist in ihren Grundzügen relativ trivial und wird niemanden überraschen. Die Erzählweise ist jedoch sehr gut an das Spielprinzip angepasst. Es gibt gewissermaßen einen Grundanteil der Geschichte, den jeder Spieler durch die Missionsaufgaben kennenlernt und einen Tiefenanteil, welchen man nur bei genauerer Untersuchung der offenen Spielwelt mitbekommt.
Etwas schade fand ich nur, dass am Ende einige Elemente der Handlung offen bleiben. Ich hätte mir zum Beispiel noch mehr Details über den Outsider gewünscht, der hier einfach nur als mystische Figur präsentiert wird und eben da ist, weil man ja irgendwie die Spezialfähigkeiten von Corvo erklären muss.
Da du nun schon das Spielprinzip angesprochen hast: Bei Dishonored gibt es eine offene Spielwelt, nicht wahr!?
Ja, aber das ist nicht wie bei 'GTA' oder 'Morrowind'. Das Spiel ist in Kapitel unterteilt, die jeweils eine eigene Mission darstellen und auch jeweils in einem anderen Level spielen. Diese sind in ihrer Reihenfolge vorgegeben und man kann nicht zwischen ihnen wechseln. Aber innerhalb einer Mission verläuft das Spiel absolut offen. Man hat ein Ziel, eine Spielwelt und verschiedene Mittel. Die eigentliche Lösung der vorgegebenen Aufgaben ist komplett die Sache des Spielers. Natürlich bekommt man ein paar individuelle Möglichkeiten präsentiert, allerdings gibt es an keiner Stelle ein "Entscheide dich zwischen Option eins oder zwei" bzw. "Wähle diesen oder jenen Weg". Man kann jederzeit auch einfach die Grundelemente des Spiels nutzen und sich einen eigenen Weg suchen. Das Spiel lebt geradezu von dieser offenen Gestaltung.
Wow! Das klingt wirklich toll. Wie sieht es mit der Atmosphäre aus? Wie hast du sie empfunden bzw. wie würdest du sie beschreiben?
Sie ist grundsätzlich ziemlich düster. Die Wahrnehmung ihrer Dichte wird allerdings jeder Spieler anders empfinden. Das hängt nämlich hauptsächlich davon ab, wie sehr man sich auf das Spiel einlässt. Wenn man ein Areal genau erkundet, findet man unzählige Dinge die einem mehr Hintergrundinfos zur Spielwelt geben (z.B. Notizen oder Audio-Tagebücher). Auch das Belauschen von NSCs bringt immer wieder ein paar (teilweise recht lustige) Anekdoten, Zusatzinfos oder Anspielungen hervor (und manchmal sogar eine neue Nebenaufgabe
). Dies alles bereichert nicht nur die Geschichte, sondern vertieft auch das Gefühl für die Spielwelt enorm. Spielt man hingegen geradewegs den Hauptplot, bleibt die Atmosphäre recht oberflächlich. Die reine Inszenierung der Missionsaufgaben reicht nicht aus, um wirklich zu fesseln.
Ein besonderer Atmosphäre-Leckerbissen sind übrigens die Missionsanweisungen. Nach (fast) jeder Mission gibt es dazu nämlich einen kurzen Abschnitt, in dem man eine Art Heimbasis besucht. Hier werden die nächsten Missionsaufgaben dann nicht einfach nur platt weitergegeben, sondern über die anwesenden Charaktere erzählt. Dabei treibt das Spiel auch die Entwicklung der Nebenfiguren voran und lässt den Spieler aktiv an deren Verbindung zu Corvo teilhaben
. Etwas gestört hat mich nur, dass der Spielcharakter von Corvo sehr minimalistisch konzipiert ist und praktisch kaum Reaktionen zeigt. Bei 'Half-Life 2' funktioniert das gut, aber die charakteristische Anlage von Gordon ist auch gänzlich anders. Zudem ist die Charakter-Entwicklung bei 'HL2' durchgehend vorherbestimmt - bei 'Dishonored' jedoch nicht. Schon mit ein paar eigenen, gesprochenen Texten wäre die Inszenierung wesentlich dichter gewesen. Da ich unmittelbar vorher 'BioShock Infinte' gespielt hatte, war ich aber dahingehend wohl schon etwas verwöhnt
.
Was auf jeden Fall auch noch sehr positiv auf die Atmosphäre wirkt, ist die Anpassung der Spielwelt an das Verhalten des Spielers. Bestimmte Entscheidungen werden dabei im späteren Verlauf des Spiels wieder aufgegriffen und eröffnen neue Wege oder variieren den Schauplatz. Die Auswirkungen des eigenen Spielstils sind somit über mehrere Missionen hinweg spürbar und man hat regelrecht das Gefühl, dass man wirklich Einfluss auf die Handlung hat (was natürlich nur teilweise zutrifft
).
Das hat doch bestimmt auch etwas mit Chaos-Faktor zu tun, richtig? Um was genau geht es dabei?
Im Prinzip "misst" der Chaos-Faktor das Verhalten des Spielers. Dazu wird am Missionsende die verbleibende Anzahl der überlebenden NSCs ausgewertet - sowohl Zielpersonen, als auch Wachen, Zivilisten oder gar befreundete Personen. Wer also mit brachialer Gewalt vorgeht und viele NSCs tötet, wird einen hohen Chaos-Faktor erhalten. Wer hingegen unauffällig durch die Welt schleicht und Wachen betäubt bzw. gänzlich umgeht, bekommt einen niedrigen Chaos-Faktor in der Bewertung. Darauf basierend verändert sich anschließend die Spielwelt. So werden in den nachfolgenden Missionen z.B. mehr Wachen an bestimmten Punkten verteilt bzw. deren Routen verlaufen anders. Auch das Verhalten einiger NSCs gegenüber Corvo ist deutlich argwöhnischer, wenn man viele Menschen tötet. Insgesamt ist das eine sehr atmosphärische Sache und trägt auch viel zum Spielgefühl bei
.
Leider wird dann am Ende der Geschichte eine recht klare Aufteilung in gut und böse gezogen. So bietet das Spiel für den letzten Level exakt zwei verschiedene Varianten an. Mir persönlich wäre es ohne diese moralische Definition lieber gewesen.
Dass man außerdem das Spiel mindestens zweimal nahezu komplett (!) durchspielen muss, um beide Varianten des letzten Levels sehen zu können, empfand ich eher als lästig. Einen wirklich entscheidenden Mehrwert beim Inhalt hat man davon nämlich nicht
.
Okay, dann kommen wir zum technischen Teil: Wie gefallen dir die Grafik und die Vertonung?
Den Grafik-Stil fand ich anfangs arg gewöhnungsbedürftig. Gerade die Charaktere haben ein comichaftes Aussehen, welches mir persönlich nicht so zusagt. Nach ein paar Spielstunden hat man sich daran aber gewöhnt. An der reinen Grafikleistung (z.B. Effekte) kann ich zumindest keinen Makel feststellen
. Und beim Ton gibt es ebenfalls nichts zu meckern. Die Auswahl der deutschen Sprecher ist absolut gelungen. Die Besetzung besteht nahezu komplett aus bekannten Profis, die ihren Job auch hier hervorragend machen. Die ewige Diskussion über die Entscheidung zwischen englischer oder deutscher Sprachausgabe kann man bei diesem Spiel also getrost ignorieren
.
Und wie findest du die Benutzeroberfläche und die Steuerung?
Nun, was mir gleich nach den ersten Schritten in der Spielwelt auffiel, war die extreme Überlastung des Bildschirms mit überflüssigen Informationen. So gibt es z.B. tatsächlich eine Anzeige dafür, ob man geduckt ist oder nicht. Also wer das in so einem Spiel nicht ohne Hilfe peilt, der sollte um Videospiele generell einen großen Bogen machen
.
Jetzt kommt aber auch gleich der dicke Bonuspunkt: Die Oberfläche lässt sich komplett an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Wer will, kann also sogar mit einem "total leerem Spielbildschirm" spielen
. Selbst die Wahrnehmungsanzeige der Gegner oder die Hilfen zur Wegfindung lassen sich deaktivieren.
Auch bei der Steuerung gibt es jede Menge Einstellmöglichkeiten, die kaum Wünsche offen lassen. Einzig eine freie Tastenbelegung fehlt leider. Das wäre wohl das i-Tüpfelchen gewesen. Hervorheben möchte ich noch die Fähigkeiten-Schnellauswahl per Knopfdruck. Sie ist nämlich nicht nur nützlich, sondern geradezu essentiell. In vielen Situationen muss man seine Aktionen zeitlich perfekt abstimmen und da wäre jede Menü-Fuchtelei arg hinderlich. Das wurde bei 'Dishonored' ziemlich gut gelöst
.
Ein paar Sachen fand ich am technischen Teil des Spiels aber leider trotzdem etwas sehr unausgegoren: Zum einen gibt es tatsächlich manchmal Abstürze während des Spielens (vor allem, wenn man länger am Spiel sitzt), was bei einem Konsolenspiel ein absolutes Unding ist. Und zum anderen ist das Speichersystem nicht gerade optimal. Es wird nämlich jede Mission separat gespeichert, wobei sich der aktuelle Spieldurchgang in die nächste Mission überträgt. Will man also trotz mehrmaligem Spielen eine bestimmte Statistik behalten, muss man einen Spielstand kurz vor dem Ende jeder Mission anlegen. Leider ist aber auf der PS3 die Anzahl der Speicherslots begrenzt (unabhängig vom verfügbaren Speicher). Und im Zweifelsfall muss sowieso komplett von vorn anfangen. Hier wäre es m.E. besser gewesen, wenn man für jedes "neue Spiel" einen eigenen Spielstand samt Kapitelanwahl und Statistik haben würde.
Deinen Ausführungen zufolge, würdest du deine Spielerfahrung insgesamt aber schon als positiv bezeichen, oder!?
Ja, auf jeden Fall. Das Spiel hat enorm Spaß gemacht
. Besonders die offene Gestaltung der Spielwelt ist eine erfrischende Abwechslung zum üblich gewordenen "Mach dies!, Mach das!, Mach jenes!"-Prinzip heutiger Spiele.
Eine letzte Frage habe ich noch. Da du die GOTY-Version gespielt hast, bist du ja auch in den Genuß der DLCs gekommen. Was kannst du uns dazu sagen?
Mein Kritikpunkt bezüglich der Charakter-Entwicklung ist hier erfreulicherweise nicht mehr vorhanden. Obwohl man als Attentäter Daud ebenfalls frei über das eigene Vorgehen entscheidet, ist er ein bereits feststehender und ausgereifter Charakter. Zumal man ihm auch ein paar eigene Sätze und Unterhaltungen spendiert hat. Als sehr positiv empfand ich auch die Veränderung bei der Fähigkeit "Teleportieren". Im Gegensatz zum Hauptspiel wird hier nämlich bei Aktivierung die Zeit angehalten - auch wenn man sich gerade in der Luft befindet. Dadurch kann man sich in Ruhe umschauen und einen Teleport präzise durchzuführen (sogar um Ecken herum). Unbeabsichtigte Fehlsprünge sind damit pasé
.
Was die neue Hintergrundgeschichte angeht: Sie erzählt eine Nebenhandlung zum ursprünglichen Hauptplot. Sie fügt sich damit nahtlos in das Spieluniversum ein und ist eigentlich ziemlich spannend. Da jedoch gerade die atmosphärischen "Heimbasis-Abschnitte" zwischen den Missionen entfallen sind (wurden durch einfache Zwischensequenzen ersetzt), empfand ich hier die Erzählweise insgesamt wesentlich schwächer. An der Stelle wurde viel Potential verschenkt.
Letztendlich würde ich die DLCs genau als das ansehen, was sie sind: Gut gemachte Zusatz-Missionen. Mit dem Hauptspiel können sie jedoch nicht mithalten.
Damit sind wir am Ende unseres kleinen Gesprächs. Vielen Dank für deine Ausführungen, Heinrich.
Es war mir ein Vergnügen. Bis zum nächsten Mal.